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Goethe war ja ein Türmer gewesen, hatte sich über die Dinge und die Menschen erhoben. Ein Großer dieser Welt, ihr größter Dichter ein Deutscher, ein Deutscher wie ich, dachte Peter Kluge auf seinem Turm. Er ließ den Scheinwerfer aufflammen, denn es wurde dunkel. Jetzt konnte Peter Kluge wieder den Wald in der Ferne sehen, über dem eine schwere, graue Rauchsäule lastete. Vor Tagen hatte man vierhundert Menschen in diesem Walde erschossen. Der Scheiterhaufen mit ihren Leichen brannte noch immer schwelend. Peter Kluge richtete den Scheinwerfer auf das herbstlich kahle Feld, das sich zwischen dem Wald und dem Lager dehnte. Mit der Asche der verbrannten Leichen gedüngt, brachte der sonst karge Boden im Frühjahr ein prächtiges Gemüse hervor.
,, Ich blick in die Ferne", wie ging es nur weiter, das Lied des Goetheschen Türmers? Peter Kluge konnte sich nicht darauf besinnen. Übrigens fiel ihm ein, daß er kein Geld mehr hatte, und er beschloß, sich von Matthießen etwas auszuborgen. Matthießen war ein Freund, auf den man sich verlassen konnte, und er hatte immer Geld in der Tasche. Kein Wunder; wurde er doch wegen seines steifen Beines auf der Kammer beschäftigt und bekam als erster die Sachen in die Hände, die man den Toten abnahm.
Peter Kluge ließ den Lichtkegel über das hohe, dreifache Stacheldrahtgitter gleiten und über den Graben und entlang der roten Ziegelmauer des Krematoriums. Hier stand das Holzgestell, von dem die drei Leichen der heute Erhängten wie traurige Fahnen herabhingen. Peter Kluge ärgerte sich, weil ihm die zweite Strophe des Liedes nicht einfallen wollte: ,, Ich blick in die Ferne- 66
Das Licht des Scheinwerfers schlich über die verlassenen Lagergassen und sprang durch die schmalen Fensterlöcher in die Baracken hinein. Bei der Vorstellung, wie der kalte,
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