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die am Horizont zart sich abzeichnende Kette der Vogesen . Ich sollte im Herrenzimmer auf der Chaiselongue schlafen, die sonst der dreizehnjährige Rolf benutzte. Nun zog er auf eine zweite Chaiselongue im Schlafzimmer der Eltern. Mittags lernten wir beide uns kennen. Ein für sein Alter großer, schlanker Bub, dunkelblond und grauäugig, mit einem feingeschnittenen, sympathischen Gesicht. ,, So, das ist die Buddeli, Rolf, auf die du schon so gespannt gewesen bist", sagte seine Mutter, als sie ihn mir vorstellte. Frei­mütig sah er mir ins Gesicht, machte seine Verbeugung und reichte mir seine Hand mit festem Druck. Du weißt, daß ich von jeher alle Kinder gern hatte und fast immer schnellen Kontakt mit ihnen bekomme. Hier war es mir außer Zweifel, daß wir gut miteinander auskommen würden. Ich wußte, daß er in der Schule schlecht mitkam, und hatte mich durch Lene brieflich angeboten, mit Rolf zu arbeiten. Das hatten ihm die Eltern gesagt, daher seine große Span­nung, wie ich wohl sein würde. Innerlich mußte ich lächeln, weil man ihm seine Erleichterung gar so deutlich an­merkte. Im übrigen hatten ihm seine Eltern mitgeteilt, daß möglichst alle älteren Leute, die nicht in Betrieben tätig waren, wegen der ständigen Bombardierungen Berlin ver­lassen sollten, was ja der Wahrheit entsprach. Deshalb sei ich von Berlin fortgegangen und wollte zunächst einmal für ein Vierteljahr bei ihnen in Freiburg bleiben. Diese Version sollte auch allen Bekannten von Wackes und Lotte zur Erklärung dienen.

Am Nachmittag schlenderte ich durch die Stadt, zuerst zum Münsterplatz. Mit neuer Bewunderung betrachtete ich den Bau, der mir immer in Proportion und Maßen voll­kommen erschienen war. Der Turm wirkte wie die Fili­granarbeit eines gigantischen kunstreichen Goldschmiedes. Der Platz als solcher gefiel mir wieder über alle Maßen gut mit dem stattlichen Patrizierbau des ,, Kaufhauses" und dem vornehmen erzbischöflichen Palais. Nur war aller figürliche Schmuck am Münster wie am ,, Kaufhaus" ent­

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