ends ab und versenkte ihn zuunterst mit der jüdischen Kennkarte in meiner Einkaufstasche. Inzwischen war es halb acht Uhr geworden. Ich ging der entgegengesetzten Sperre zu, ließ die Fahrkarte München - Berlin lochen und begab mich auf den Bahnsteig, wo der Zug eben einge­fahren war. Einen Augenblick schwankte ich, ob ich den Vorzug, der wegen des zu erwartenden großen Reisever­kehrs eingesetzt war und zehn Minuten vor dem anderen abfuhr, benutzen sollte, doch dann fiel mir ein, daß Eva mich ja mit dem regelrechten Zuge in Jena erwarten wollte. Gewiß war jede Minute, die ich länger in München zu­brachte, gefährlich, doch gab es auch im Zuge der mög­lichen Gefahren genug, es brauchte nur ein Bekannter von früher darin zu sitzen. Es war der 15. August, das Ende der Berliner Schulferien, mit der Möglichkeit, jemand zu treffen, mußte ich rechnen. Ob ich den Vorzug oder den fahrplanmäßigen nahm, das Risiko war gleich groß. Also ging ich auf den letzteren zu, der noch ganz leer war, und machte es mir auf einem Fensterplatz des zweiten Wagens in einem Nichtraucherabteil bequem. Ich hatte mir einen Roman unter den vielen herrenlosen Büchern im Heim her­ausgesucht und eingesteckt und begann zu lesen, allerdings, wie ich gestehen muß, ohne viel von dem Gelesenen wirk­lich in mich aufzunehmen, von Zeit zu Zeit einen Blick auf die allmählich das Abteil füllenden Mitreisenden und die langsam vorrückenden Zeiger der Bahnhofuhr werfend. Triumphierend konstatierte ich, daß ich auch jetzt ganz ruhig und sicher blieb. Ja, ich spürte eine erstaunliche Ge­wißheit in mir, daß ich alle etwa auftauchenden Schwierig­keiten überwinden würde. Jetzt war die Abfahrtszeit ge­kommen, unser Abteil war voll, es hatte sich nirgends ein bekanntes Gesicht gezeigt. Der Mann mit der roten Mütze hob die Signalscheibe, langsam setzte unser Zug sich in Bewegung. Ich nahm wieder mein Buch zur Hand, einen leichten englischen Roman in deutscher Uebersetzung, ganz spannend geschrieben. Nun brachte ich es fertig, mich von

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