Mensch, eine tüchtige Aerztin, bekannt für ihre Hilfsbereitschaft. Als wir uns jetzt in meinem Zimmer gegenübersaßen, war uns beiden unendlich jämmerlich zumute. Aber noch durften wir uns nicht gehen lassen, jetzt gab es alle Hände voll zu tun. Sie wollte zuerst zu Schüles gehen, um die arme Schwester und die Schwägerin ein bißchen zu beruhigen; ich lief hinunter, um alle weiblichen Insassen, mit Ausnahme der für die Deportation Eingeteilten, zu versammeln und um ihre Hilfe bei den Vorbereitungen, die nun zu treffen waren, zu erbitten. Auf dem Wege traf ich Gertrud Lind, die mich wortlos umarmte.
,, Nicht wahr, Sie bleiben diese Tage bei uns im Heim", bat ich sie. Sie nickte, und ich merkte, daß es ihr eine Beruhigung war, unter uns zu sein. Wie gut, daß es Sonn
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tag war! Fast alle Frauen waren zu Hause, schnell versammelten sie sich im Aufenthaltsraum.
Ich berichtete ihnen kurz die Tatsachen und bat sie, mir zu helfen, den von der Deportation Betroffenen alles, was noch zu tun war, so weit wie möglich zu erleichtern. Zunächst brauchte ich jemand, der statt Gertrud Lind das Kochen übernehmen würde, bis Ersatz für sie gefunden sei. Frau Nehm, eine fünfundsechzigjährige Insassin, die schon immer in der Küche geholfen hatte und tüchtig war, meldete sich sofort, trotz eines schweren Leidens, das sie von der Fabrikarbeit befreit hatte. Dann bat ich einige Frauen, sich für Gänge in die Stadt zur Verfügung zu stellen, die die Eingeteilten selbst nicht mehr machen durften. Andere sollten beim Packen helfen; eine nach der Deportation der Badenser und Pfälzer Juden angefertigte Anleitung zum Packen von Deportationsgepäck hatte ich glücklicherweise da und würde sie ans Schwarze Brett schlagen lassen. Der Rest der Frauen aber sollte aus altem Leinen und anderen waschbaren Stoffresten Säckchen in verschiedenen Größen nähen, die den Reiseproviant aufnehmen sollten. Alle waren zum Helfen bereit, beglückend traf mich trotz Schmerz und Erschütterung der Gedanke,
10 Behrend, Ich stand nicht allein
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