und freundlichen Wesens, Thekla Land, hatte vor kurzem ihr Kuba - Visum erhalten und sollte morgen ihre Reise an­treten. Sie war etwa vierzig Jahre alt, Witwe; für sie, die ihre einzige Tochter in Nordamerika hatte, mußte es ein schrecklicher Schlag sein, so dicht vor dem langersehnten Ziel zu erfahren, daß alle Anstrengungen und Vorbereitun­gen nutzlos, die ganze Vorfreude umsonst gewesen waren! Und ich durfte es ihr nicht einmal sagen, auch über diese Angelegenheit hatten wir Stillschweigen zu bewahren, bis die gedruckte Verfügung eintraf. Frau Land würde wahr­scheinlich morgen kurz vor der für ihre Abreise fest­gesetzten Zeit zu ihrem Anwalt bestellt werden, der ihr die schlimme Eröffnung machen mußte.

Aber da waren wir auch schon vor unserem Heim an­gelangt, schon öffnete der Hauptlehrer das Tor der Umfas­sungsmauer, die das Klostergebiet umgab. Ich mußte mich zusammenreißen, mich darauf einstellen, den forschenden Blicken wie den direkten Fragen meiner Heiminsassen standzuhalten, vor ihnen verbergen, was mich doch bis in die letzte Faser meines Wesens erfüllte. Es war spät ge­worden, kurz vor neun Uhr, aber wir von der Heimleitung hatten die Sondererlaubnis, uns bis zehn Uhr außerhalb des Hauses aufzuhalten, während sonst laut Reichsgesetz alle Juden von abends acht Uhr bis morgens sechs Uhr seit Beginn des Krieges ihre Wohnungen nicht verlassen durf­ten; Ausnahmen wurden nur in Sonderfällen, z. B. bei anders gelagerter Schichtarbeit, gestattet.

Auf dem langen Flur im Erdgeschoß war ein buntes Gewimmel, wie immer um diese Zeit, wenn die Arbeitenden daheim waren. Und heute erwarteten alle gespannt unsere Heimkehr, hofften sie doch, etwas über die Zusammenkunft in der Gemeinde zu erfahren, beruhigende Auskunft über die Gegenstandslosigkeit schwirrender Gerüchte zu erhal­ten. Jeder von uns war sofort von einem dichten Kreis vieler Menschen umringt. Wir wehrten die Herandrängen­den ab, wir hatten uns darauf geeinigt zu erklären, daß es

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