Berg a. Laim, Sonntag, den 21. September 1941

Nun sitze ich schon eine Weile vor meinem Tagebuch, die Feder in der Hand, und weiß einfach nicht, wo und wie ich mit Schreiben beginnen soll! Doch ich gehe am besten chro­nologisch vor. Am 15. September haben wir unsere Küche in Betrieb genommen. Wir haben einen neuen großen Herd, wie er in Hotelküchen verwendet wird. Außerdem bekamen wir zwei große Kessel, den einen mit hundertfünfundzwan­zig Litern, den zweiten mit hundertachzig Litern Fassungs­vermögen. Wir werden den ersten zur Herstellung von Suppen, den anderen zum Kochen von bestimmten Ge­müsen und Eintopfgerichten benutzen. Der Herd zieht noch nicht so, wie er soll, aber das ist zuerst wohl immer so. Unsere Insassen sind sehr zufrieden mit den Erzeugnissen unserer eigenen Küche, Fräulein Lind versteht ihre Sache. Wir haben jetzt fünfundfünfzig Heimbewohner, für die kommende Woche müssen wir mit starkem Zuzug rech­nen. In etwa drei Wochen wird die Heimanlage voll be­setzt sein. Doch darauf sind wir vorbereitet.

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Wie ein Schlag ins Gesicht traf uns und es wird allen Juden im Reich ebenso gehen die neue Verfügung, daß jeder Jude öffentlich auf der linken Brust als Merkmal seiner Rassenzugehörigkeit einen aus gelber Kunstseide be­stehenden Davidstern tragen muß. Auf ihm steht das Wort ,, Jude" in Buchstaben, die hebräischen Lettern angeglichen sind. Ab vorgestern, also Freitag, den 19. September, durfte niemand mehr ohne Stern aus dem Hause gehen. Wir muẞ­ten die Judensterne aus großen Stücken, die so breit wie Kleiderstoffe gewoben waren, ausschneiden und jeden ein­zelnen gleich umsäumen, weil der schlechte Stoff so fasert. Für diese ,, Dekoration" hatten wir zehn Pfennig pro Stück zu zahlen.

Wie reagiert die Bevölkerung darauf? Die meisten Leute tun, als sähen sie den Stern nicht, ganz vereinzelt gibt je­mand in der Straßenbahn seiner Genugtuung darüber Aus­

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