jetzt, besonders wegen der Judenpolitik, von der Partei enttäuscht und von ihr abgerückt sei. Sehr bald begann sie auf alles, was Partei und Regierung taten, zu schimp­fen, oft so übertrieben gehässig, daß wir beide, vor allem aber Du, sie zu beruhigen und ihre Übertreibungen auf das richtige Maß zurückzuführen versuchten. All das ge­schah so klug und war so geschickt gemacht, daß weder Du noch ich je in diesen ersten zehn Wochen darauf ge­kommen wären, es könnte zu einem besonderen Zwecke geschehen und nicht ehrlich gemeint sein.

Im April endlich war Resi wieder gesund und konnte ihre Schwester ablösen. Aber wir merkten bald: Resi war nicht mehr die alte. Ihre harmlose Fröhlichkeit war dahin. Wir schoben es darauf, daß sie immer noch recht scho­nungsbedürftig war und sich oft müde und matt fühlte. Wenn ich sie fragte, sagte sie immer, es bedrücke sie nichts, als daß sie sich noch nicht kräftig und gesund fühle.

Inzwischen hatte ich Dich immer wieder gebeten, nach einer neuen Wohnung in diesem Ort Umschau zu halten. Wir hatten bei Frau Winterling nur für drei Monate, d. h. bis zum 31. Mai gemietet, denn mit dem 1. Juni begann die Saison und damit die Möglichkeit, ihre Räume mit mehr Gewinn an Kurgäste abzugeben. Wir wollten uns in den Sommermonaten mit einer kleineren Wohnung begnü­gen, deren Saisonpreis unseren Verhältnissen angemessen war. Was haben wir uns alles angesehen! Im weiten Um­kreis des Ortes besichtigten wir alle Häuser, die irgend­wie in Frage kamen, und waren mehr als einmal dicht vor dem Abschluß des Vertrages, der sich dann aus irgend­einem Grunde im letzten Augenblick nicht realisieren ließ. Frau Winterling war uns anscheinend selbst in freundlich­ster Weise behilflich, immer wieder wußte sie ein Haus zu nennen, in dem wir noch nachfragen konnten. Ja, sie erzählte eines Tages sogar halb lachend, halb entrüstet, daß eine Frau, bei der sie unsertwegen vorstellig geworden war, sie miẞtrauisch gefragt hätte: ,, Warum wollen Sie

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