hin war der juriftifche Sachverhalt bei allen neun Ange klagten im Wefentlichen der gleiche, trotzdem wurden zwei höhere Reichsbeamte zu fechs Jahren Zuchthaus und dop peltem Ehrverluft und andere zu vier Jahren Gefängnis ver> urteilt. Ich felbft hätte, wenn man mich nicht für einen Mits verfchwörer oder Mitwiffer hielt, nach geltendem Recht über haupt nur zu wenigen Monaten Gefängnis verurteilt wer den können. Daß hier Männer im Namen des deutſchen Volkes und mit der Autorität des Reiches folche völlig will kürlichen Urteilsfprüche auszufprechen wagten, hat mich im Tiefften empört. Denn nächft der Liebe zur Freiheit ist uns Niederfachfen die Liebe zur Gerechtigkeit am tiefften ins Blut gefenkt. Darum empfand ich diefen Urteilsfpruch, obwohl ich genau wußte, daß ich ihn nicht mehr abfitzen würde, als einen fundamentalen Angriff auf das ethifche Zentrum meis ner Perfönlichkeit. Es war der einzige Augenblick meiner gefamten Haftzeit, da mein Blut kochte; aus der Tiefe fühlte ich die dunkle Woge des Haffes emporſteigen.
Auf der Rückfahrt blieb mir nichts anderes, als mich im wört lichen Gehorfam unter ein Wort der Bibel zu beugen:„ Die Rache ist mein, ich will vergelten, ſpricht der Herr". Ich habe es mit der Naivität eines Kindes getan.
Ich hatte Anlaß, mich darin zu üben.
"
Zu Haufe" angelangt, erfuhr ich, daß meine Frau für diefen Tag eine Sprecherlaubnis erwirkt hatte. Es war klar, daß fie, allen offiziellen Lügen zum Trotz, den Termin der Verhand lung herausgebracht hatte. Ich durfte ihr weder von der ftatt gehabten Verhandlung noch von dem Urteil etwas fagen. Dabei war dies der einzige, wirklich der einzige Tag, da ihre gewohnte klare Beherrschtheit nicht erkennbar war; fie war fchwer erkältet, wahrscheinlich richtig krank, und hatte fich nur für den mühfeligen, wegen der schlimmen Verkehrsver
96


