kritischften und gefährlichften Augenblick meiner ganzen Haft erlebt habe; das war der Augenblick der Urteilsver kündigung. Ich habe während diefer ganzen Zeit keine Vers fuchung gehabt, die an Wucht diefem Augenblick gleichges kommen wäre, da die Empörung wie eine dunkle, heiße Welle durch mein Blut fchoẞ.

Das mag verwunderlich erfcheinen.

Denn die wefentliche Frage bei allen Freisler- Prozeffen be ftand in der elementaren Alternative: Todesurteil oder nicht. Wurde jemand nicht zum Tode verurteilt, fo war bei einer Freiheitsftrafe das Strafmaß völlig gleichgültig. Wer freige fprochen wurde, kam in der Regel fofort ins Kz, die andern entſprechend fpäter; daß wir im übrigen alle im Dritten Reiche das Licht der Freiheit nicht wiederfehen follten, wurde uns mehr als einmal mit zynifcher Offenheit deutlich ge macht.

Das alles war mir natürlich wohl bekannt, und ich hatte mich längst innerlich darauf eingerichtet. Auch das mir zudiktierte Strafmaß entſprach- trotz der befchwichtigenden, aber völ lig falfchen Prognofe meines Verteidigers- meinen Erwar tungen. Das alles hätte mich nicht zu erregen brauchen. Aber während der Prozeß ablief, enthüllte fich die völlige Willkür diefer Rechtfprechung auf eine immer unverhülltere Weife, in der Urteilsverkündung erreichte fie ihren Gipfel. Obwohl fich für ein Todesurteil, wie es in meinem Falle ein deutig beabsichtigt war, nicht genügend Unterlagen hatten befchaffen laffen, waren wir alle wegen Landesverrat, des Näheren wegen Feindbegünftigung angeklagt. Daß trotz die fer immerhin belaftenden Anklage zwei von uns mit einem Jahre Gefängnis und noch einigen zufätzlichen Beweifen von Freislers Wohlwollen davon kamen, mochte deshalb hinge hen, weil es fich um belanglofe Mitläufer handelte; immer

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