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Volksgericht
Der Verhandlungstag kam heran. Es war ein hübſches Spiel der Gefchichte, daß mein Haftbefehl, der übrigens über ein Vierteljahr später ausgeftellt wurde, auf den 9. November datiert war, und daß nun der Verhandlungstermin vor dem I. Senat des Volksgerichts wegen„ Landesverrats" auf den 18. Januar, den Gründungstag des Zweiten Reiches feſtges fetzt war.
Es entſprach der Gepflogenheit, daß uns einige Tage und Nächte vorher wieder die Handfeffeln angelegt wurden. Der SS- Jüngling, der bei mir die Prozedur vorzunehmen hatte, kannte den mir zugedachten Typus, eine moderne Form der Polizeifeffel, nicht; auf Grund vielgeftaltiger Erfahrung konn te ich ihm beim Anlegen der Feffeln die erforderlichen Hin weife geben. Natürlich wurden dadurch die Nächte wieder wefentlich unangenehmer; das alte vertraute Bild trat wie der ein: Luftangriffe in der einfamen, verriegelten Zelle, man drückt fich in die Ecke, verfucht fich mit den gefeffelten Hän den das Wafchbecken als Splitterfchutz über den Kopf zu ftülpen und zum Schutze gegen die Kälte fich eine Decke umzudrapieren und befiehlt im Übrigen feine Seele Gott . Eine neuere Annehmlichkeit war, daß man nicht mehr un rafiert und ungepflegt, als„ Schwerverbrecher" ftilifiert, vor geführt wurde, fondern daß wir uns, fein" machen konnten. Das hieß: rafieren, ein ordentlicher Anzug, einige bekamen


