Noch eine schöne Blüte der Menschlichkeit erblüht in diefen Nächten des Grauens.
Es ist wieder Alarm. Das Haus liegt ganz dunkel. Draußen ift noch nichts erkennbar, fondern alles noch von der läh menden Stille der Erwartung überdeckt. Die Wachtpoften, die eben mit knarrenden Stiefeln über die Treppe nach unten geftiegen find, hört man in den Kellergewölben laut reden. Oben ist alles totenftill.
Da werden mit einem Male unhörbar die beiden Riegel meiner Zellentür zurückgefchoben, und lautlos öffnet fich ein Spalt. In der Nifche ſteht Freiherr von Guttenberg, der mit leifen Zeichen zum Schweigen mahnt. Als alles ſtill ift, führen wir im Flüfterton eine kurze Unterhaltung.„ Finden Sie nicht, Herr Pfarrer, daß wir alle in diefer Lage die Ölbergszene aus dem Neuen Teftament viel beffer verftehen?" Er ist nicht der Einzige in diefem Haufe, der Pascals unver gleichliche Meditation über die Gethsemanegefchichte kennt und liebt, und wir reden hier nun ein wenig davon, welchen Troft diefes Stück des Neuen Teftamentes gerade uns ge währt.Ich werde diefe Doftojewskifche Szene nicht vergeffen: das dunkle, zwiefach dunkle Haus, draußen der Höllenlärm von Flak und Bomben, und drinnen diefe geflüfterte Unter haltung über den Sohn Gottes, der in jener Nacht am Öl berg allen Nächten das Grauen genommen hat und hinfort bei denen ift, die in den Nächten kämpfen, ringen und beten. Ich werde auch den Mann nicht vergeffen. Er war einer von denen unter uns, die über dem eigenen Gefchick nie das Ges famtfchickfal aus dem Auge verloren. Wieviele Pläne find in diefem Haufe darüber gefchmiedet worden, wie man den Opfern des 20. Juli künftig würde helfen können, und was man überhaupt für die zu erwartende riefige Not des deut fchen Volkes würde tun können! Er war schon damals klar
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