„ Sie wiffen, daß Sie der Gefährlichfte find!"- begann mein Gegenüber, als er mich mit den bekannten Formalitäten, übrigens wiederum ohne mich zu feffeln, nach der Dienft ftelle der Geftapo in der Franzöfifchen Straße gebracht hatte. Er war von Neuhaus fehr verfchieden und im Gan zen eine merkwürdige Mifchung von Klugheit und Naivi tät, von Menschlichkeit und vorfchriftsmäßiger Geftapohal tung. So. ließ er mich mitten zwifchendurch ganz kurz mit meiner Frau telephonieren, die ich bis dahin weder gefehen noch gefprochen hatte; er tat es zweifellos gegen alle Vorfchriften auf eigene Verantwortung; und der Grund für diefe Kühnheit und Menfchlichkeit war ganz leicht erkennbar: ihm hatte meine Frau wegen ihrer Ruhe und Tapferkeit ganz befonderen Eindruck gemacht. Auf der anderen Seite fehlte es dann wieder an Drohungen und herabfetzenden. Bemerkungen nicht. Ebenfo konnte er kluge und richtige Beobachtungen durch ganz ungehemmte Naivitäten unter brechen: Wann ift das Johannesevangelium verfaßt?!"- und als ich, akademifcher Tradition getreu, fagte, das fei keine eindeutig zu beantwortende Frage, ſchnitt er mir faft das Wort zu folchen„ Ausflüchten" ab:„ Im Jahre 254!", welch verblüffende Auskunft er alsbald mit einem Konglomerat nicht ganz verftandener Lefefrüchte aus feinen Privatftudien zu belegen begann. Auf der anderen Seite hatte er genau begriffen, welche prinzipielle Tiefe der Kirchenkampf hatte und wußte fehr wohl zwifchen Fragen erfter und zweiter Ordnung zu unterfcheiden. Mit Geringfchätzung ſprach er von jenen„ Bekennern", die, um des Evangeliums willen" irgend eine unaufgebbare Pofition bezögen, die fie dann- vielleicht nach entfprechender Haft und einem Revers doch fehr wohl zu räumen wüßten, wofür er als Beiſpiel die Frage der theologifchen Prüfungen der Bekennenden Kirche an
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