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Verhältnis mehr steht zu den ärmlichen Beweggründen für den gegenseitigen Beistand. Er lähmt die Schwingen der menschlichen Gedanken, aber er regt bei der geringsten Besserung der Lage die Phantasie mit einem Schwung an, der sich bis zur Höhe des Dichterischen erhebt. Mit der mas­siven Gewalt eines Mühlsteines zermalmt er häufig das menschliche Pflichtgefühl, aber schon das geringste Nach­lassen seiner Stärke gibt, Antrieben zu heroischer Selbst­verleugnung Raum. Er begräbt den Menschen in seiner materiellen Finsternis, aber er kann, kaum zum Stillstand gebracht, dem menschlichen Geist einen Aufschwung geben, der ihn seine Verhaftung im Überirdischen von neuem entdecken läßt.

Um zu Czetwertinsky zurückzukehren: Wir waren Ka­meraden der Feder, und halfen einander gern, geistige Lücken auszufüllen. Georges machte es Freude, von mir einen polnischen Protest gegen die Ungerechtigkeiten zu hören, die über un­seren Köpfen zum Ausbruch kamen. Mir gefiel seine ange­nehme Nüchternheit, die nicht auf die Nerven ging und über die eingebildete ,, Herrenrasse" nur die Nase rümpfte. ,, Sie haben keine Moral!", das war das ebenso lakonische wie sympathisch berührende Zeugnis, das er der Freude der Deutschen an der Machtausübung ausstellte. ,, Sie mögen mich nun einmal nicht", so fand er sich lächelnd mit jedem Dünkel und jeder Grobheit ab. Mit der Feder würden wir uns für unsere Unfähigkeit als Zwangsarbeiter revanchieren. Wir beide schrieben die Briefe für diejenigen, die die deutsche Sprache nicht beherrschten und einmal oder zweimal im Monat Nachricht nach Hause geben durften, daß sie gesund und munter" wären, und die wohl auch einmal um etwas bitten durften, vorausgesetzt, daß sie dabei nicht durch­blicken ließen, daß ihnen überhaupt alles fehlte. Die ,,, Kas­siber", die oft unbemerkt durch die Zensur gingen, sicherten ihm die Anhänglichkeit der Polen und mir die Freund­schaft der Wallonen.

Nach deutschem Brauch brauchten wir beide uns nicht mehr an irdische Güter gebunden zu fühlen. Was die Mit­gefangenen nicht stahlen, weil es in der Unterkunft der SS­Wachen eingeschlossen war, das nahm die Wache in ihre persönliche Obhut. Der einzige Unterschied, der zwischen diesen Konfiskationen bestand, war der, daß die Häftlinge nicht zu fragen pflegten, ob wir auch damit einverstanden

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