Der ,, engelähnliche" Teil des Menschen sucht auch nach dem Bösen als solchem und tut manchmal selbst das Böse um des Bösen willen, oder wenigstens einem Antrieb zuliebe, der seinen Anspruch oder Ursprung in keinem anderen Be­dürfnis findet als dem einen Impuls, Schaden oder Leid zuzufügen, freien Lauf zu lassen. Das Gute und das Böse als Gegenpole in der geistigen Existenz des Menschen ohne irgendwelche Beziehung zu einer Befriedigung leiblicher Bedürfnisse: Sie repräsentieren den zwiespältigen Charakter der Engelsnatur des Menschen: den eines vernunftbegabten Wesens, das in der Erhabenheit des Geistigen lebt, und den des gefallenen Engels, den die christliche Offenbarung den Teufel nennt. ,, Die Natur eines Engels und eines Tieres zu­gleich" sind im Menschen beheimatet. Neben dem Tier mit seinen friedlichen und feindlichen Regungen seinen Art­genossen gegenüber lebt im Menschen auch ein Teufel als Kehrseite des Engels.

Jeder Mensch birgt in sich einen Teufel, ein zum Bösen tendierendes Prinzip. Und dieser Teufel, der in jeder mensch­lichen Seele gegen den Engel kämpft, gegen die geistige Macht, die Gottes Ebenbild und die gottähnlichen Züge in sich begreift, dieser Teufel nährt sich von den Unvollkommen­heiten des ständig Forderungen stellenden Tieres, als das wir den menschlichen Körper anzusehen haben. Er vermag das Gift seiner Aktivität ebenso gut aus dem Überfluß wie aus der Not zu destillieren.

Ohne Zweifel gehört der Hunger zu den wichtigsten Kaperbriefen des Teufels; durch die Waffe des Hungers ver­steht er es gewöhnlich, jeden menschlichen Widerstand zu besiegen. Aber der Hunger kann auch ein Werkzeug des Engels im Menschen sein. Er nagt mit zermürbender Rast­losigkeit, aber er macht auch unempfindlich für den Mangel an anderer Befriedigung. Er macht den Menschen reizbar und verdrießlich, aber er führt auch dazu, daß man an Speisen Vorzüge entdeckt, die man sonst nicht zu schätzen wußte. Er zerrt die Seele endlos durch die Gossen des tierischen Verlangens nach Nahrung, aber er erhebt das Herz auch zu großmütiger Dankbarkeit für die kärglichsten Almosen. Er läßt das Wissen um die gesellschaftlichen Bindungen zer­flattern, die man im gewöhnlichen Leben als geheiligte Konventionen achtet, aber er läßt auch das menschliche Solidaritätsgefühl lebendig werden, bis es in gar keinem

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