Zielen, noch skeptischer im dem geworden, was er der mensch-— lichen zutraute, ging er ungebrochen von neuem an die Arbeit im Dienst der Gerechtigkeit. Auch dann noch ohne Ansehen der Person, als er später als„Kapo “ nach Wittenberge versetzt wurde. Als völlig arbeitsunfähig mußte er im Sommer 1943 ins Revier von Neuengamme . Kurz vor: meiner Entlassung kam er zu mir, um sich zu verabschieden. Er gab mir einen guten Rat mit auf den Weg, in dem seine ihm selbst unbewußte Mission einen Ausdruck suchte: „Vergiß nie, was du hier durchgemacht hast!“ i
Ich habe nicht vergessen, was ich durchmachen mußte! Und weil ich es nicht vergessen habe, will ich hier auch noch eine der schönsten Äußerungen menschlichen Edelmutes erwähnen, die ich, wenn auch nur sehr, sehr selten, erlebt habe; es war die Überwindung des Hasses, der erfolgreiche Widerstand gegen den: mächtigen Drang, der die gemarterte Seele befällt, die Peiniger mit ihrer ganzen Sippe zu hassen und dadurch der Widerstand gegen die abstumpfende Ver- suchung, sich mit dem vergifteten Gefühl von Ressentiment zu beschmutzen, das nach Edgar Alexander, dem Verfasser des„Deutschen Breviers“ und’des„Mythos Hitler‘ die eigent- liche Ursache für den teuflichen Herrschaftswahn des Dritten Reiches gewesen ist. Zu den schwärzesten Schafen im Konzen- trationslager gehörten die Juden. Und. unter ihnen lebte Baron von Rosenberg. Er war Katholik und fühlte sich in dieser Gruppe von Menschen nicht heimisch, mit denen ihn,
nach äußerlichen Merkmalen zu urteilen, nur die gemeinsame
Abstammung verband. Von Beruf war er Kavallerie-Offizier gewesen. Während des Krieges von 1914 bis 1918 hatte er in der österreichischen Armee gedient und war‘mit einem gelähmten Bein in das Zivilleben zurückgekehrt. Zunächst bedrückte ihn diese körperliche Gebrechen über alle Maßen, späterhin dankte er gerade dieser Schwäche die Errettung aus vielen Gefahren und war dem Himmel für diesen Unfall von Herzen dankbar.„Gesegnet sei mein Bein!“ hatte er auch gemurmelt,. als er als einziger Jude einen Unterschlupf in der Kartoffelschälküche fand.
Voll guten Mutes— eine Eigenschaft, die er mit vielen anderen Juden teilte— und doch mit einem ins Wanken ‚ geratenen Zutrauen zu seinem„gesegneten Bein“ sah er sich im Herbst 1942 in ein Lager in Polen versetzt; denn allgemein
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