Im übrigen war die Unterbringung von„Bibelforschern“ und Juden unter einem Dach lediglich eine Laune. national- sozialistischer Einteilungswillkür, denn andere Gruppen von . Gefangenen, bei denen von einer persönlichen Schuld ebenso- wenig die Rede sein konnte wie etwa die Zigeuner — die das schwarze Dreieck der„Asos‘“, der„Asozialen‘“, trugen— oder die Polen und Russen, wurden immer schnellstens auf die einzelnen„Blocks“ aufgeteilt. Wahrscheinlich verdankten die Bibelforscher diese fragwürdige Bevorzugung dem Wunsch der kriegerischen Lagerverwaltung, ihre tiefste Verachtung für eine solche Entartung des kriegerischen Geistes der Deut- schen zum Ausdruck zu bringen, wie sie sich bei dieser grund- sätzlichen Ablehnung jeder Art von Waffengewalt ausdrückte. ‚Aber die Haltung dieser einfachen und mutigen Christen, die-natürlich in keiner Weise vollkommen waren und eine nicht geringe Last von sektiererischen- Vorurteilen mit sich herumschleppten, zeichnete sich doch dermaßen durch Ehr- lichkeit, Anspruchslosigkeit und Arbeitswilligkeit aus, daß ihre Ausschaltung nur die Eigenmächtigkeit der SS -Männer selbst in ein schlechtes Licht setzte.
Schließlich wurden im Jahr 1942 auch die Bibelforscher zum Arbeitseinsatz aufgerufen und selbst auf Vertrauens- posten gestellt. Und ihre Aufteilung auf die verschiedenen Baracken bestätigte ihre Befreiung aus dem Zustand ganz besonderer Unwürdigkeit und Verachtung. Trotz ihrer nie verleugneten, unversöhnlichen Feindschaft gegen die national- sozialistischen Anordnungen! Denn einer der Führer dieser Bibelforscher war nicht einmal davor zurückgeschreckt, an Himmler persönlich einen Brief zu schreiben, in dem diesem für das Teufelswerk seiner Tyrannei alle Höllenstrafen. an- gedroht wurden. Die Folge war natürlich die Verurteilung zum Tode durch Erhängen, gleichzeitig aber auch ein er- greifender Abschiedsgruß seiner Glaubensbrüder, die während des ganzen Abends Lobgesänge zu Ehren Jehovas anstimmten.
Jener Ernst Raddatz also war auch ‚„Bibelforscher“. Von Beruf Bauer. Tagsüber wurde er gewöhnlich irgendeinem Kommando zugeteilt, dessen Arbeit auf dem Felde eine ge- wisse Erfahrung in diesen Dingen voraussetzte. Ernst beklagte sich nie über die Härte seines Schicksals, das ihn dazu ver- dammte, Tag für Tag Arbeiten zu leisten, für die er in Pommern seine Leute hatte, und noch dazu ohne die an- gemessene Verpflegung, Bekleidung, Unterkunft und den
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