regen begann, an dessen Unüberwindlichkeit auch die Leugnung einer solchen Möglichkeit durch das nationalsozialistische Dogma nichts änderte. Tausende von Gefangenen im Konzentrationslager gingen moralisch zugrunde, noch mehr kamen auch physisch ums Leben. Alle sittlichen Wertmaßstäbe sanken bis zum tierischen Selbsterhaltungstrieb hinab, der jedes Eingreifen zugunsten von in Not befindlichen Gefährten scheute, sobald durch ein solches Aufflackern des Solidaritätsgefühls eigene Interessen geschmälert werden konnten. Aber wie eine Standarte auf den Ruinen einer verwüsteten Stadt erhob sich hoch über alle diese menschlichen Trümmer das Beispiel einiger weniger, das bewies, daß der Geist der Menschlichkeit nicht, untergehen kann. ,, Die Seele bleibt Sieger!" sagten die alten Griechen, und auch im Konzentrationslager wurde es offenbar, daß die Seele auch über brutale Gewalt triumphiert,
Mit dem Menschen ist es nun einmal anders als mit den Tieren aller Gattungen. Wie alle anderen Lebewesen ohne Unterschied hat der Mensch von der Natur bestimmte Bedürfnisse mit auf den Weg bekommen. Diese Bedürfnisse sind. von seinem Leben nicht zu trennen. Denn das Leben kann nur solange fortbestehen, als es eine Aneinanderreihung von Bedürfnissen und ihrer Befriedigung ist. Ohne Bedürfnisse ist Leben nicht denkbar. Wo die Befriedigung der Bedürfnisse aufhört, da hört auch das Leben selbst auf. Man kann das Bedürfnis den Lebensquell der Selbsterhaltung nennen, man kann es als den Extrakt des irdischen Lebens ansehen. Jeder, der den Wert der Bedürfnisse bestreitet, leugnet zugleich den Wert des Lebens überhaupt. Eine Wertschätzung der Lebewesen als solcher bedeutet zugleich Ehrfurcht der menschlichen Vernunft vor jeder Erscheinung, die mit dem Lebensvorgang selbst zusammenhängt.
Aber zwischen dem Menschen und allen anderen Lebewesen gibt es einen großen Unterschied. Die Bedürfnisse aller anderen Lebewesen gelten nur ihrer eigenen Erhaltung und Fortpflanzung. Alles ist dieser Befriedigung der elementarsten Triebe unterworfen. Das führt dahin, daß das gesamte irdische Leben dieser Wesen auf eine gegenseitige Vernichtung oder gegenseitige Ausnutzung, bestenfalls aber auf eine Gleichgültigkeit den anderen Lebewesen gegenüber hinausläuft, selbst wenn es sich um Angehörige der gleichen Art handelt. Bei dem Menschen ist das jedoch ganz anders.
103


