Die Deutschen dieser Prägung und die Westeuropäer aus Holland , Belgien und Frankreich stehen sich innerlich manch­mal so fern, daß eine zuweilen geradezu lachhafte Verständ­nislosigkeit für die geistige Haltung und den Umgangston. des anderen die Folge ist. Es ist verschiedentlich vorgekommen. daß irgendein Hamburger oder ein Mann aus der Nähe dieser Stadt, der um die Ordnung in der Baracke oder an der Arbeitsstelle besorgt war, einem Wallonen die wohlgemeinte Warnung zurief: Mensch, tu das!" oder Tu das nicht!", was lediglich zur Folge hatte, daß sich der gereizte Herr aus Lüttich oder der Borinage bei einem anderen erkundigte, was mit dem Schimpfwort ,, Mensch" denn eigentlich gemeint. sei. Die Erklärung, daß der harmlose Ausdruck ,, Mensch" überhaupt kein Schimpfwort sei und auch in diesem Sinne nicht verwendet werde, fand so gut wie niemals Glauben. ,, C'est le ton qui fait la musique!"

Wenn die Deutschen irgendein Amt zu versehen hatten, dann hatten sie meist noch weniger Verständnis für die Umgangsformen der Niederländer und Franzosen . Für die Angehörigen dieser Völker ist es bekanntlich charakteristisch, daß sie, wenn sie ein Anliegen vorzubringen oder einen Pflichtbesuch zu machen haben, besonders viel Wert auf Höflichkeit und Zurückhaltung legen. Und nach ihrer Auf­fassung von Lebensstil vertragen sich Höflichkeit und Zurückhaltung keineswegs mit geräuschvollem Auftreten und einem metallisch klingenden Aufwand von Worten. Nach preußischer Auffassung ist es jedoch gerade umgekehrt. Wenn diese Wortkanonaden fehlen, dann argwöhnt der Deutsche sofort einen Mangel an Willenskraft oder gar an gutem Willen selbst. Deshalb gab es in der ,, Politischen Abteilung" ständig Kollisionen zwischen den Westeuropäern mit ihren höflichen Manieren und der Höflichkeit aber einer ganz anderen Art von Höflichkeit die von den Herren der SS­Verwaltung erwartet wurde. Wenn es den Westeuropäern nicht gelang, diesen Stimmaufwand soweit nachzuahmen, daß sie im gleichen Ton den Satz hinausgeschmettert hatten: ,, Bitte eintreten zu dürfen!", dann wurden sie angeschnauzt wie unverschämte Eindringlinge und je nachdem, ob die diensthabenden Herren Spaß verstanden oder nicht, entweder mit Schimpfworten wieder hinausgewiesen oder mit ein paar Ohrfeigen zur Ordnung gerufen, worauf dann das nachfolgende Verhör noch heftigere Formen annahm als gewöhnlich.

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