Betrug erwischt zu werden, bedeutete regelmäßig ein Wiederhinabsinken auf das Niveau des Hungers und der schweren Arbeit. Deshalb mußte also gestohlen werden. Zwar stahlen der Barackenälteste und seine Gehilfen oder im entsprechenden Falle der Vorarbeiter des Kommandos nicht selbst, sondern an ihrer Stelle die deutschen Angehörigen des Stabes und Vizestabes, deren Geschicklichkeit und Risiko natürlich durch Sonderportionen belohnt werden mußten. Am leichtesten waren diese Sonderzuteilungen zu beschaffen, wenn man sie einfach denen wegnahm, für die sie ursprünglich bestimmt waren. Von den Suppenzuteilungen für das Frühstück und Abendessen, von den Brotrationen für die Baracken, von den Vorräten in den Lagern, vom Nachschub an Verpflegung, von allen Stellen, wo der Proviant für kürzere oder längere Zeit lagerte, von jedem Transport zwischen dem Zubereitungs- und Bestimmungsort flossen fast überall und immer kleinere und größere Brocken von Nahrungsmitteln in Privathände. Und diese Privathände waren in der überwältigenden Mehrzahl deutsche. Denn die Häftlinge mit der größten Anzahl von Dienstjahren und folglich auch der größten Erfahrung und hervorragendsten Eignung, auf dem Seil der Illegalität zu tanzen, waren im Lager immer die Deutschen. Dazu kam noch das natürliche Solidaritätsgefühl der Deutschen inmitten der vielen Ausländer, deren zahlenmäßiges Uebergewicht immer größer wurde und dadurch die bereits vorhandene Solidarität noch ständig verstärken mußte, zumal die Opposition immer größer und die Ausbeutungsmöglichkeiten immer besser wurden. Außerdem darf man nicht vergessen, daß sehr viele von den deutschen Häftlingen geradezu Meister in der Kunst des Diebstahls und häufig nicht zu unrecht als ,, Berufsverbrecher" registriert waren. Der Vorsprung, den die Deutschen als besondere Gruppe hatten, war recht erheblich, und sie waren sich dieser Tatsache auch durchaus bewußt. In jedem Falle ein Herrenvolk..! Und es war doch zu jeder Zeit so, daß die herrschenden Klassen nicht auf derselben niedrigen Ernährungsstufe stehenbleiben, auf der sich die unterworfenen oder Sklavenvölker durchschlagen müssen.
Die Suppenverteilung wurde jedesmal von argwöhnischen Augen beobachtet, die genau darauf achteten, daß nicht etwa einer einen größeren ,, Schlag" bekam, als der andere. Immer wieder wurden Versuche unternommen, etwas von unten aus dem Kessel abzubekommen, denn das Unterste war immer
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