aus der Hand gab. Den ganzen Tag hatte man nach der er­sehnten Kräftigung gegiert, mit allen Fibern hatte man nach der Beruhigung und dem Trost gelechzt, die einem das Abend­brot geben sollte, und nun überfiel einen zu der körperlichen. Erschöpfung und dem Fehlen jeglicher Gemütlichkeit oder Bequemlichkeit auch noch die gesteigerte Qual des ungestill­ten Hungers. Da man obendrein noch eine ganze Nacht und einen Tag aufreibender Zwangsarbeit vor sich hatte, war das wahrhaftig mehr, als Menschennerven ohne Verbitterung und Auflehnung gegen alle und alles zu ertragen vermögen.

Die rohe Erbarmungslosigkeit oder beleidigende Gleich­gültigkeit der Geschöpfe ringsum, von denen selbst die Besten keine wirklichen Kameraden sein konnten, weil sie mehr als genug mit ihren eigenen Sorgen zu tun hatten, mußte den rebellierenden Lebenswillen immer weiter auf die krummen Wege maßloser Rachsucht oder doch wenigstens unbeherrsch­ten Vergeltungsdranges treiben. Julien Lahaut erzählte mir einmal, daß einer seiner Bekannten aus Lüttich , der früher ein ehrenwerter Bergarbeiter von untadeligem Lebenswandel ge­wesen war, einem Manne, der aus der gleichen Gegend stammte, das Stück Brot aus der Hand gerissen hatte und damit weggerannt war. Wahrscheinlich hatte ihn die blinde Hoffnung, seinen hungrigen Magen einmal mit einem Stück trockenen Brotes sättigen zu können, völlig außer sich ge­bracht, denn er hatte überhaupt keine Ahnung, wohin er mit seiner Beute fliehen sollte. Er verlief sich ins Abwässerge­lände, und als er sich dort keinen Ausweg mehr wußte, warf er das Brot in eine Jauchegrube. Von seiner Gier nach Nah­rung war er viel zu besessen, um das Verbrecherische seines Benehmens erkennen und seine Verfehlung durch Rückgabe des Gestohlenen wieder gut machen zu können.

Wie der sprichwörtliche Dieb in der Nacht umlauert der Hunger den Häftling. Während der Arbeit hängt er wie Blei an den Muskeln, nur mit Gewaltanstrengung vermag man sich zu bewegen. In den Muẞestunden reißt er an den Nerven wie das Wimmern eines kleinen Hundes. Er umnebelt die Sinne bis zur Besessenheit eines Hundes, der überall herum­schnüffelt, um Nahrung zu finden. Manch einen gefangenen Polen oder Russen erwischte man dabei, wie er die Abfall­haufen durchwühlte, um vielleicht noch die stinkenden Ueber­reste von verdorbenem Küchenabfall zu finden. Das war natürlich verboten. Es verstieß auch gegen die Ordnung. Auf

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