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Der Unglückliche, dem dieser Urteilsspruch galt, wurde bei den übelsten Arbeitskommandos eingeteilt. Er wurde zur Arbeit gehetzt, ständig angebrüllt und bei dem geringsten Versehen geprügelt. Keiner durfte ihm helfen. Niemand durftemit ihm sprechen. Nirgends durfte er ungestört auch nur seine Notdurft verrichten. Wenn er einmal Mantel oder Jacke auszog und beiseitelegte, dann verschwand dieses Kleidungsstück auf der Stelle, er selbst aber wurde wegen Veruntreuung von Lagereigentum bestraft. Bei einer Arbeit, die man mit Vorbedacht besonders schwer und gefährlich gewählt hatte, fiel er vielleicht in einen Graben; am ganzen Leibe durchnäẞt mußte er weiterarbeiten. Wenn er sich in einem Anfall von Raserei seinen Peinigern widersetzte oder wenn er vor Erschöpfung zusammenbrach, dann sorgten Schläge und Stöße, mit Vorliebe ins Gesicht, für eine Beflügelung des Arbeitseifers. War der Tag schließlich zu Ende, dann ließ man ihm keine Zeit, sich einigermaßen wieder zu erholen. Er bekam Arbeitsdienst unter Aufsicht, bis es Zeit zum Schlafengehen war. Aber kaum hatte er sich dann auf seinem Strohsack ausgestreckt, wurde er schon wieder wachgerüttelt und mußte im Waschraum Wasser pumpen. War er mit seinen Kräften am Ende, dann wurde er an den Handgelenken, die man auf seinem Rücken zusammenband, aufgehängt. Verlor er dabei das Bewußtsein, goß man ihm. eimerweise Wasser über den Kopf. Kam er dann wieder zu sich, durfte er endlich auf seinen Strohsack zurückkehren.
Früh am Morgen begann das gleiche Spiel von neuem, mit kleinen Abweichungen vielleicht, aber ohne Pause, ohne Gnade systematisch weitergeführt. Ruhe gab es für den Gemarterten nicht mehr. Bis er schließlich die Kette der SSWachen durchbrach, unmittelbar die Hand an sich legte oder an Lungenentzündung einging. In fast allen Fällen war sein Ende gewiß. Aber niemand wurde für diesen Ausgang der Aktion verantwortlich gemacht.
Manch einer ist auf diese Weise zugrunde gegangen. Nicht wenige von ihnen waren minderwertige Charaktere, Brotdiebe, Gauner, Verräter oder Leichenschänder. Aber auch völlig Unschuldige waren darunter wie etwa der bedauernswerte George, ein Fremdenlegionär russischer, Herkunft aus. Marokko , der völlig zu Unrecht aufrührerischer Reden verdächtigt wurde. Die Blicke des Sterbenden riefen mir noch kurz vor meiner Versetzung aus dem Fabrikkommando von Wittenberge ein letztes Lebewohl zu.


