Danach habe ich keine dieser Hinrichtungen, die keines- wegs vom Programm verschwunden waren, mehr mit ange- sehen. Und bald verschwamm die düstere Erinnerung an dieses abendliche Schauspiel in meinem Gedächtnis. Es gab zuviele wechselnde Eindrücke, zuviel Lärm und zuviel Wirbel. In regelmäßigen Abständen wurden neue Gefangene in den Bun- ker eingesperrt, und eine neue Welle von Hinrichtungen ging durch das Lager. Im Jahre 1942 wurden eines Tages Russen- frauen ins Lager gebracht. Es hieß, daß mit ihnen ein Versuch mit Giftgas gemacht werden sollte. Noch am gleichen Tage sah ich, wie ihre Leichen herausgeschleppt wurden. Sie hatten, wie mir ein Häftling erzählte, der bei den Aufräumungsar- beiten geholfen hatte, wie die Kletten an den Türpfosten' ge- klebt, in den Gesichtern noch den Ausdruck verzweifelter Angst und der Qual hoffnungsloser Versuche, aus dem Beton- sarg zu entkommen. Am nächsten Tage erfuhr man, daß die Frauen Partisaninnen gewesen sein sollten. An der Fenster- scheibe einer der kleinen Zellen, in denen sie den Gastod starben, war noch eine letzte Erklärung eingeritzt. Ich war dabei, als die Worte in der Kartoffelschälküche entziffert wurden. Am Schluß dieses Abschiedsbriefes auf Fensterglas stand in eyrillischen Buchstaben:„Hoch lebe Stalin !“
Das Bild der hier geschilderten Grausamkeiten, die das tägliche Leben im Konzentrationslager„verschönten“, wäre nicht vollständig, wenn man die klassische Methode der Liquidation unerwähnt lassen wollte, die aus Sachsenhausen kam. Sie wurde indirekt von den SS -Stellen befohlen oder doch wenigstens geduldet und von den Blockältesten und
„Kapos“ manchmal unter Zwang, manchmal aber auch aus
eigenem Antrieb vollzogen. Diese ständige Bedrohung ge- hörte zu den grausigsten Erfahrungen des Lebens im Kon- zentrationslager; sie lastete wie ein Alpdruck auf dem Be- wußtsein eines jeden, der das Unglück hatte, sich die Ver- ärgerung oder den Haß rachsüchtiger Naturen zuzuziehen. Irgend jemand hatte vielleicht das Mißfallen eines SS-Bonzen erregt oder sich bei einer Gruppe von prominenten deutschen Gefangenen verhaßt gemacht. Man beschloß, ihn verschwin- den zu lassen. Kam das Urteil von der Seite der SS, dann hieß es einfach:„Ich will diesen Lump— oder dies Schwein— nicht mehr sehen!“ Entsprang es irgend welchen Machtge- lüsten der„Prominenz“, dann war der feststehende Ausdruck des Femegerichts dafür:„Fertig machen!“
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