aus dem Kalender der Lagerleitung gestrichen. Aber am Hei­ligen Abend stand der Sturmmann Lenzian betrunken neben­uns im Kartoffelkeller und begleitete unsere Fronarbeit mit Peitschenhieben. Von irgendeiner christlichen Einstellung konnte nirgends die Rede sein, nicht einmal bei der Aus­nahmebehandlung der Häftlinge am Weihnachtstag. Christ­liches Gedankengut war überhaupt niemals und nirgends in der Lagerführung lebendig. Bestenfalls wurden die Häftlinge wie Lasttiere, wie Vieh behandelt.

Es sollte Monate dauern, bis ich aus meinem anfänglichen Dämmerzustand erwachte und die grausame Wirklichkeit des Konzentrationslagers als die eine Seite des Lebens in Deutsch­ land begriff. Vorher hatte ich so etwas für völlig unmöglich gehalten und angenommen, daß es nur in der überhitzten Phantasie der Urheber von Greuelpropaganda existierte. Alles, was ich in Rauschnings ,, Gesprächen mit Hitler " über die teuflischen Pläne des Nationalsozialismus zur Ausrottung der slawischen Völker gelesen hatte, war also doch wahr. Es schien also doch möglich, den größten Teil der polnischen und tschechischen Intelligenz einzusperren und zur Verzweiflung zu bringen. Es schien möglich, Millionen von Polen und Tsche­chen in Zwangsarbeiterkolonien zu bringen und sie dort um­kommen zu lassen, so daß nicht mehr Slawen an den deut­schen Ostgrenzen übrig blieben, als von den deutschen Kolo­nisatoren, die das Land der früheren Polen und Tschechen in Besitz nehmen wollten, für die niedersten Handarbeiten ge­braucht wurden.

In Neuengamme sah ich, wie dieser Raubtierstandpunkt unter der Tarnbezeichnung ,, Konzentrationslager" praktisch verwirklicht wurde. Bis zur Einführung des Arbeitseinsatzes im Jahre 1942 wurden die Polen und Tschechen hier systema­tisch ausgerottet. So unglaublich schlecht waren die Behand­lung, die Unterernährung, die übermäßige Arbeit und die Un­zulänglichkeit der ärztlichen Versorgung.

Diese unmenschliche Behandlung traf in gleicher Weise die Holländer und Belgier und in verstärktem Maße die Russen. Im Herbst 1941 wurden einige Hundert Häftlinge aus Belgien und Holland in mehreren Gruppen eingewiesen. Die meisten von ihnen kamen aus dem Lager Breendonk, der Festung Huy und dem Lager Amersfoort . Sie sahen gut aus und waren munter und guter Dinge. Auch nicht einer von ihnen sah nach Sterben aus. Und doch sah ich viele von ihnen schon nach

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