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Nein, brüllte der Sturmmann,das ist doch keine Ohr- feige!

Franz. mußte noch einmal ausholen und spielte seine'Rolle diesmal noch geschickter, so daß es ganz so aussah, als hätte er Pastor Overmaat wirklich ins Gesicht geschlagen. Offen- sichtlich war auch diesmal die Wirkung viel zu gering. Aber der Sturmmann zog es vor, sitzen zu bleiben, und begnügte sich damit, weiter zu schimpfen. Auf jeden Fall hatte er dem Priester seinen Standpunkt klargemacht, und der würde es in Zukunft wohl bleiben lassen, sich im ‚Sinne des politischen Katholizismus zu versündigen.

Bestimmt wäre der Pfarrer nicht so leicht davongekom- men, wenn er ein Jahr vorher im Lager erschienen wäre. Gegen sieben Uhr fand der feierliche Abendappell statt.

Todmüde,:verdreckt und hungrig marschierten die Tausende auf. Stramm und.ohne sich zu rühren. Und nach dem Durch- zählen begann ein Spiel, das die hungernden Mägen oft eine geschlagene;halbe Stunde lang marterte.Mütze ab, Mütze auf; Mütze ab, Mütze auf! bis das Abnehmen der Lager- mützen mit einer Geschwindigkeit und einem Getöse geschah, das an das Abfeuern einer Salve erinnerte. Und dann hieß es singen, singen, sentimentale Lieder aus der Rumpelkammer popularisierter deutscher Romantik, solange, bis die Gefügig- keit, mit der der Schlußchor im Tagesablauf herausgeschmet-, tert wurde, mit einem Stück Brot und dem Schlaf der Er- schöpfung auf dem Strohsack belohnt wurde.

Aber ein Anrecht auf Ruhe hatte man deshalb nicht, sie war niemals gesicherter Besitz. Denn die Reihe der Quäle- reien, die einen selbst in den Abendstunden erwarteten, war-

endlos. Gelegentlich wurde man aus dem Bett geholt, um zu-..

gunsten anderer seine Schuhe oder Stiefel umzutauschen. Manchmal wurde man wachgerüttelt, um eine andere Pritsche zu beziehen. Dann und wann mußte man sich nackt ausziehen und zu einer flüchtigen Untersuchung: auf Krätze und Aus- schlag antreten. Regelmäßig wurde man truppweise ins Bad geschickt, wo man mit der Geschwindigkeit eines Hexen- .meisters aus den Kleidern zu fahren hatte, mit Engelsgeduld viertelstundenlang, splitternackt aneinander gepackt wie die Heringe, warten mußte, um dann für einen winzigen Augen- blick den Luxus einer warmen Dusche zu genießen. Danach . lag wieder die Gewalttour vor einem, in einer Eile in die Klei- der zu schlüpfen, wobei es selten ohne den Verlust irgendeines

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