verlassen. Es war verboten, zu stehlen, auszureißen oder sich unzüchtig zu benehmen. Alles dies wurde schwerstens bestraft. Im übrigen war es grundsätzlich verboten, irgend etwas zu tun oder zu unterlassen, was nicht in den Betrieb des tausendköpfigen Marionettentheaters passen wollte, das hier nach der Pfeife des SS- Regiments genau, mechanisch, tanzen sollte. Erst viel später wurde uns klar, was für eine teuflische Methode hinter dem Geflecht von Vorschriften und Verboten in einem Konzen­trationslager steckte. Verboten war so vieles, daß es schlecht­hin unmöglich war weiterzuleben, ohne ständig das eine oder das andere der unzähligen Verbote zu übertreten. Man war einfach ständig straffällig. Ständig war man in Gefahr, er­wischt oder angezeigt zu werden. Darüber hinaus war man geradezu gezwungen, selbst den Angeber zu spielen, was na­türlich sofort wieder Rachemaßnahmen nach sich zog. Und obendrein war man noch kollektiv für jeden Verstoß seiner Mitgefangenen gegen die Lagerordnung verantwortlich. Not­gedrungen mußte deshalb jeder, so gut es ging, den anderen dabei helfen, ihre Uebertretungen zu verheimlichen, und am Schluß lief die Sache darauf hinaus, daß man aus der stän­digen Angst vor Bestrafung überhaupt nicht mehr herauskam. Die SS konnte also zu jeder Tages- und Nachtzeit nach freiem Ermessen irgendwelche Strafmaßnahmen in Anwendung brin­gen. Natürlich lediglich aus Gründen der Ordnung und Dis­ziplin. Versuchte man, diesen Grundsatz und diese Zielsetzung der Rechtsordnung im Polizeistaat als sittlich verpflichtende Norm anzusehen, dann merkte man gleich, daß gerade die vielen Widersprüche in der allumfassenden Vielfalt der Vor-­schriften eine der unerschöpflichen Quellen waren, die es dem nationalsozialistischen Regime erlaubten, jeder boshaften Laune und jeder verhüllten Gemeinheit den Anschein von. Berechtigung zu geben.

Der Appell war inzwischen zu Ende gegangen, und inmit-. ten einer wild durcheinanderflutenden Menge, die sich durch einen schmalen Gang in den Block drängte, wurden wir mit an einen Tisch getrieben, an dem das Abendessen ausgegeben wurde, die einzige Mahlzeit am Tage, die diesen Namen über­haupt verdiente. Drei Mann mußten sich damals noch! später wurde die Ration halbiert. ein zweieinhalbpfündiges Roggenbrot teilen. Dazu bekam jeder etwas Margarine und eine kleine Scheibe Wurst; zu trinken gab es einen halben

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