Der bleiche, schmächtige Koltwitz muß immer wieder auf das Tau blicken, auf die Fäden, die er von dem Tampen gelöst hat. Ja, gibt es denn einen anderen Ausweg? Gibt es einen? Mechanisch greift die Hand unters Keilkissen und holt Briefe her­vor. Briefe von seiner Frau. Er kennt sie auswendig, könnte sie der Reihe nach hersagen, aber er muß ihre Schrift sehen; dann erst ist er ganz bei ihr, sieht er sie vor sich, versteht er sie. Er nimmt einen aus dem Umschlag und liest, und während des Lesens kommen ihm Tränen...

Liebster, es ist 9 Uhr am Abend. Die Kinder liegen im Bett, es ist eine köstliche Ruhe im Haus. Aber diese Ruhe, so angenehm sie auch nach den lauten Aufregungen des Tages ist, so quälend ist sie auch. Du fehlst mir. Was ich auch tue, woran ich auch denke, überall fehlst Du mir. Ich war doch früher nicht so unselbständig, heute möchte ich immer erst Dich fragen, mich von Dir beraten lassen. Ach, Fritz, wenn ich dran denke, daß man Dich wie ein wildes, gefährliches Tier einsperrt, daß man Dich vielleicht gar mit häßlichen Schimpfworten kränkt, es ist nicht auszudenken. Was haben wir eigentlich so Schreckliches verbrochen, daß man uns so straft? Doch ich will Dich nicht mehr mit meinen Sorgen quälen. Die Zeit ist schlimm für uns, doch sie geht vorüber, und alles wird wieder gut. Wollen wir dann nicht ein neues, schöneres Leben beginnen, fern von der garstigen Politik? Hast Du es nötig, Dich für andere, Treulose zu opfern? Ich wüßte so viel, was Dir Freude bereiten würde; ich will dann nur noch für Dich da sein. Ich weiß, es war nicht immer so, ich war oft selbstsüchtig und häßlich zu Dir.

Weißt Du, Fritz, Liebster, mir ist vor einigen Tagen, als ich so an Dich dachte, ganz tief und innig an Dich dachte, das schöne Beethovenlied wieder eingefallen, das uns zusammen­

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