Schließlich befürchtet er aber, daß Lenzer überraschend kommt, um ihm die Acht wieder anzulegen, und dann das Klopfen bemerkt. Und Torsten schlägt einige Male energisch gegen die Wand. Sofort unterbleibt das Klopfen.
Während Torsten mit langsamen, bedächtigen Schritten durch die Zelle geht, fünf zur Fensterwand, fünf zur Zellentür, hin und zurück, immer wieder, und dabei Ansprachen entwirft, politische Themen durchdenkt, präzise formulierte Reden hält, hockt sein junger Nachbar in der Ecke an der Zellentür, schließt in der Finsternis krampfhaft die Augen, um sich zu konzentrieren und dieser Dunkelheit wenigstens im Geiste zu entrinnen. Er ruft aus der Erinnerung alle freudigen Stunden hervor und genießt sie noch einmal, bemüht, auch die belangloseste Kleinigkeit in seinem Gedächtnis wieder lebendig zu machen... Auch liest er in Gedanken noch einmal die Bücher, die ihn einmal besonders erschütterten... leidet mit David Copperfield, flieht mit ihm, liebt mit ihm und erlebt den Triumph, die Schurken, die dessen Leben vergällten, zu entlarven... Er irrt mit Peer Gynt durch die ganze Welt, erlebt Abenteuer, an die selbst Ibsen nicht gedacht hat, um schließlich alt und gebrochen, ein morsches Wrack, an die Felsengestade seiner nordischen Heimat geworfen zu werden... Er durchlebt die Todesangst des Iwan Iwanowitsch, der sich bereit zum Sterben hingelegt hat, wird durchrieselt von derart unheimlichen Todesschauern, daß er die Augen aufreißt und- nichts als tiefste Dunkelheit um sich einen erschrockenen Schrei ausstößt...
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Er hatte vergessen, wo er sich befand...
Aufheitern wollte er sich, innerlich aufheitern, und rief die Musik als Helferin... Als Knabe hatte Walter Kreibel im Kinderchor der städtischen Oper gesungen, das brachte damals pro Abend fünfzig
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