Er schüttelt die neugierig auf ihn Eindringenden ab. Er ist zu ver­wirrt, zu erregt, um Fragen beantworten zu können. Zumal ihm Fragen gestellt werden, die er sich selber stellt und um deren Be­antwortung er sich selber verzweifelt bemüht. Angst sitzt ihm in den Gliedern. Er sieht sich als Opfer eines tödlichen Irrtums. Ist verwickelt in ein Verbrechen, gilt als Komplice. Er weiß genau, was es bedeutet, als Jude politisch verdächtig zu sein, weiß, daß es schwieriger sein wird, als er glaubte, seine völlige Unschuld zu beweisen. Der Fremde war ein Verbrecher. Mein Gott, das war dem nicht anzusehen. Im Gegenteil. Und wer mochte dieser Tetzlin sein? Er hatte diesen Namen bestimmt noch nicht gehört. Er soll Geld gegeben haben. Den Kommunisten. Welch ein Irr­sinn! Wie das nur alles zusammenhängt? Miesicke quält seinen Kopf, die Zusammenhänge zu durchschauen.

Dann packt ihn die Wut. Warum kümmert sich seine Frau nicht um ihn? Warum klären die Verwandten nicht die Polizei auf und verlangen seine Freilassung? Warum läßt man ihn hier im Dreck verkommen? Warum beteuert man nicht seine völlige Unschuld? Warum bürgt keiner für ihn?

,, Haben sie dich wenigstens anständig behandelt?"

Das ist nun schon der dritte oder vierte, der dies fragt. " Jawohl, man hat mich durchaus anständig behandelt!" ,, Mensch, dann hast du aber Schwein gehabt. Du, ein Jude!" Das fehlte auch gerade noch. Es war schon unanständig genug, ihn wie einen Verbrecher festzuhalten. Womöglich mußte er nun noch eine Nacht in dieser ekelhaften Zelle, unter diesen Men­schen, in diesem Gestank verbringen. Es war nicht auszudenken. Es wäre schrecklich. Und Miesicke weicht allen Fragern, allen Blicken aus, meidet jeden und tappt für sich durch die Zelle. Vor Hilflosigkeit, Ekel und Angst hätte er heulen mögen wie ein

Kind.

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