Ansicht über das Lager gefragt. Und ich war bald der Meinung, daß die politische Befragung auch in meinem Falle nichts als eine leere Geste gewesen war, zumal inzwischen bereits Häftlinge entlassen worden waren, die weit später erst als ich zur politischen Befragung gekommen waren. Nun ja, Pech gehabt, basta! sagte ich zu mir selbst und legte die Angelegenheit in meinem Gehirn zu den verstaubten Akten.
Der 9. Mai 1940 bringt einen ungewöhnlich schönen, warmen Maiabend. Ich bin im Pflegerzimmer beim Abendbrot. Da kommt SS.- Oberscharführer Rose noch einmal überraschend nach dem Häftlingsrevier herunter. Der Abendappell ist schon vorüber. So spät ist meines Wissens noch niemals ein SDG. im Lager gewesen. Ein Häftling sagt mir Bescheid, daß Rose im Arztzimmer ist, und ich begebe mich darauf sofort dorthin. Rose ist offensichtlich stark erregt und sagt mir: ,, Du wirst morgen früh entlassen."
Entlassen
Ich bin vollkommen ruhig. Mein Herz schlägt auch nicht einen einzigen Pulsschlag schneller.
,, Hast du nicht irgendeine politische Akte hier, die ich nach oben. bringen kann? Ich muß doch hier noch was zu tun gehabt haben", sagt Rose zu mir.
Ich gehe an den Schreibtisch, schließe auf und gebe ihm eine politische Akte.
Dann bin ich allein im Zimmer. Entlassen. Wie spät ist es? 19 Uhr! Gut! Morgen um die gleiche Zeit hat sich mein Schicksal für die nächste Zukunft entschieden. Entweder bin ich dann im Zug auf der Fahrt nach Norden, oder ich bin auf der Flucht erschossen. Und die paar Stunden, na, die werde ich nach diesen letzten fünf Jahren, sechs Monaten und 17 Stunden wohl auch noch rumkriegen.
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Ich gehe zu Richard Elsner.
,, Es ist soweit, Richard. Morgen früh."
,, Na, also, Walter. Es wird schon klappen. Ich habe keine Sorge." Aber ich merke ihm doch an, daß auch er um die Ungewißheit meines. Schicksals weiß.
Dann suche ich Walter Krämer auf. Er ist der Vertraute, dem ich all die Dinge sagen kann, die mir auf Grund meiner politischen Funktion im
15 Poller, Buchenwald
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