zum mindesten im Unterbewußtsein eine leise Hoffnung mit, daß wir vielleicht doch einmal aus der Hölle entrinnen könnten.
Ken
Meine Freunde rieten mir mehrfach, ich solle versuchen, unauffällig aus dem Häftlingsrevier zu verschwinden und zu jener Gruppe von Häftlingen überzuwechseln, die in einem leichten Arbeitskommando ein einigermaßen erträgliches, von der Lagerleitung unbemerktes Häft-
lingsdasein führte. Sie wußten, welche Einblicke ich auf Grund meiner-
Tätigkeit als Arztschreiber gewonnen hatte, und waren der Ansicht, daß meine Entlassung deshalb völlig aussichtlos sein müßte. Ich mußte anerkennen, daß ihre Gründe schwer wogen, und hatte ja selbst ge- nügend Beispiele dafür erlebt, mit welcher Leichtfertigkeit die SS. -Leute unbequeme Häftlinge aus dem Wege zu räumen pflegten. Aber ich konnte mich vornehmlich aus zwei Gründen nicht entschließen, dem Rat meiner Freunde zu folgen. Ich sagte mir, daß die SS. -Männer ent- weder die Gefahr erkannt hatten, die ich für sie hätte werden können- dann hätten sie mich auch so nie entlassen, oder sie hatten die Gefahr nicht erkannt, dann würden sie mich auch aus Dummheit ebenso wie meinen Vorgänger entlassen. Und zum anderen sagte ich mir, daß ich auf Grund meiner Weltanschauung und Überzeugung eine innere Ver- pflichtung hatte, bis zur letzten Stunde die Möglichkeiten auszunutzen, die mir meine am Ende immer einflußreicher gewordene Stellung im Interesse vieler Leidensgefährten bot.
Da teilten mir meine Angehörigen verdeckt mit, daß mein ältester Sohn, der an der Front stand, ein Entlassungsgesuch direkt an das Sicher- heitshauptamt in Berlin gerichtet hatte. Mir war mehrfach bekannt- geworden, daß dieser Weg zum Erfolg geführt hatte. Erstens wog bei den Nationalsozialisten das Gesuch eines Frontkämpfers schwerer, als das Gesuch einer Frau, die sich über fünf lange Jahre ohne Unterstüt- zung durchs Leben hatte schlagen müssen. Zweitens war die Stapoleit- stelle meines Wohnortes so übergangen. Da saßen Gestapoleute, die aus persönlicher Gehässigkeit und in dem Bewußtsein, daß meine bloße Gegenwart ihnen abträglich sein müßte, meine Entlassung prinzipiell ablehnten. Und drittens hatte meine Familie den Wohnsitz bereits aus dem gleichen Grunde nach Norddeutschland verlegt. Ich muß schon sagen, jetzt hatte ich, wenn überhaupt, eine Chance.
Gegen diese Chance aber stand drohend alles das, was mir als Arzt- schreiber zur Kenntnis gekommen war, wenngleich ich auch mit der
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Er
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