13 Uhr. Er blickt einen Augenblick nachdenklich aus dem Fenster, und dann, als gäbe er sich innerlich einen Ruck, geht er zur Tür hinaus. ,, Bleiben Sie hier", sagt er beim Hinausgehen zu uns.

Rudi zündet sich eine Zigarette an. Ich stelze mit den Händen in der Hosentasche durch das Labor, vier Schritt hin und vier Schritt her, so wie ich es mir in den langen Monaten meiner Einzelhaft in der Zelle angewöhnt habe und wie ich es immer noch mechanisch zu tun pflege, ohne daß es mir zum Bewußtsein kommt. Keiner von uns beiden spricht zunächst ein Wort.

Rudi ist vollkommen überarbeitet. Er sieht sehr schlecht aus.

,, Du siehst schlecht aus, Rudi", sage ich zu ihm. Rudi winkt ab. Das ist das einzige Wort, das zwischen uns gefallen ist, als Zahel nach etwa zwanzig Minuten wieder das Labor betritt, in der Hand ein Por­zellanschüsselchen mit einem Stückchen Agar. Wieder wird kein Wort zwischen uns dreien gewechselt, aber Rudi und mir ist es augenblicks klar, daß Zahel aus dem Brutschrank oben im physiologischen Institut während der Zeit, wo die beiden Bakteriologen zu Tisch waren, ein Stückchen von dem Nährboden geholt hatte, auf dem sie Ruhrbazillen züchteten.

Wortlos reicht Zahel dem ehemaligen Junglehrer, der wegen seiner politischen Überzeugung von den Nazis relegiert wurde und nun hier in Buchenwald ist, dem Häftling, der sich das Mikroskopieren ,, angekno­belt" hat, das Agar, und wortlos überläßt er ihm die Fertigung des Prä­parates. Und als Rudi die Glasplatte auf den Objekttisch geschoben hat und nun Zahel mit einer Handbewegung auffordert, das Mikroskop ein­zustellen, da sagt ihm Zahel genau so wortlos durch eine Handgebärde, sich an das Mikroskop zu setzen. Das ist Zahel, muß ich denken, ganz Zahel, der ausgezeichnete Chirurg, der Mann, der viel weiß und viel kann, der Mann, der mir einmal sagte: ,, Es war die schwärzeste Stunde meines Lebens, als ich in die SS. eingetreten bin."

Rudi knipst die Lampe an, drückt das Auge auf das Okular, stellt den Spiegel, dreht am Okular, an den Feinstellschrauben. Und dann, als er das Auge wieder vom Okular fortnimmt, sagt er nur ein einziges Wort: ,, Koli!"

Zahel setzt sich an das Mikroskop, stiert, verschiebt das Präparat, stiert wieder. Und dann erhebt er sich wortlos.

Im Grunde genommen bin ich hier überflüssig, denn was weiß ich viel von Kokken, Bazillen und Spirochäten, aber Zahel fordert auch mich wortlos auf, mich an das Mikroskop zu setzen. Und während ich fest­stelle, daß ich noch nie eine solche wundervolle Reinkultur von Koli­

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