Flecktyphus und anderer Seuchen abzuwenden, wurden alle Zugänge einer fürchterlichen Prozedur unterzogen. Es wurden zwei große Wasser- tonnen aufgestellt, die eine mit Lysollösung, die andere mit klarem Wasser gefüllt. Die Häftlinge mußten sich im Freien entkleiden und wurden dann buchstäblich in die Lysoltonne geworfen, mehrfach“unter- getaucht und mit langstieligen, groben Piassavabesen in der brutalsten Weise abgeschrubbt, häufig so, daß die Haut an einigen Stellen blutete. Dann mußten sie sich in der zweiten Tonne abspülen und, ohne sich abzutrocknen, wieder in die Kleider schlüpfen. Das war ein Erzgaudi für alle Scharführer und SS. -Offiziere des Lagers, die die Prozedur„ge- nossen“ wie gutmütige Kinder ein Kasperletheater. Und wenn dabei ein schwacher Greis ohnmächtig wurde oder ein Kind besonders toll zappelte, dann gab es aus den Reihen der Zuschauer stets ein Extra- gejohle.
Das Sonderlager wurde wieder in der unglaublichsten Weise voll- gepfercht und wieder vollkommen getrennt von uns gehalten, so daß wir nicht feststellen konnten, wer und wie viele Häftlinge dort ein- geliefert wurden. Aber schätzungsweise wurden dort diesmal etwa 2000 Personen eingesperrt. Wieder bestand die tägliche Essenration aus einem halben Liter dünner Wassersuppe und einer SchnitteBrot. Wieder wurde das Sonderlager aufs strengste isoliert. Wieder ging nach kurzer Zeit der Massentod um.
Da! Ruhr im Lager! Schon seit einiger Zeit hatte sich das Auftreten blutiger Durchfälle vermehrt. Unser Kamerad Rudi, ein früherer Jung- lehrer, der von einem jüdischen Spezialisten im Laboratorium angelernt worden war und sich auf dem Gebiete der bakteriologischen Mikroskopie einfach„pfundige Kenntnisse und Fähigkeiten angeknobelt“ hatte, hatte immer schon verdächtige Exkremente untersucht, und wenn er sagte: „Keine Ruhr! Kein Typhus! Keine Tuberkel!“ dann haben wir aus dem Krankheitsverlauf auch stets ersehen können, daß er recht hatte.
Diesmal aber meldet er sich:„Ich habe Ruhrbazillen gefunden.“ Der Kranke wird sofort isoliert. Rudi meldet einen zweiten, dritten und vierten Fall. Auch diese Kranken werden abgesondert. Nach wenigen Tagen schon sprechen sämtliche Symptome für„Rudis pfundige Dia- gnostik“.
Aber woher kommt die Ruhr ins Lager? Führen wir Häftlinge nicht selbst die ärztlichen Aufnahmeuntersuchungen durch? Haben wir nicht alles Mögliche aus eigenem Antrieb auf hygienischem Gebiet strengstens durchgeführt? Es gibt Bazillenträger, gesunde Menschen, die krankheits- erregende Bazillen beherbergen und ausscheiden! Sofort wird untersucht,
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