Operationen und Amputationen durchführten und mit Salben, oralen Medikamenten und Spritzen operierten, die nur vom Arzt verschrieben und angewandt werden durften, das war ihm offensichtlich zu viel. Aber dennoch, er mußte anerkennen, daß es ein Arzt nicht besser machen konnte. Vielleicht hat er auch sehr bald eingesehen, daß die Laien den SS.-Ärzten tatsächlich turmhoch überlegen waren, denn wenn er auch wie ein Ackergaul schuftete, um seinen ärztlichen Aufgaben gerecht zu werden, er hat niemals gegen diese„Gepflogenheit“ im Lager einen Ein- wand erhoben oder die Selbständigkeit der Häftlinge irgendwie einge- schränkt, wozu er ohne weiteres in der Lage gewesen wäre.
Nachdem er durch das Revier geführt worden war, mußte ich ihm im Arztzimmer eine kurze Einführung in die Verwaltungsorganisation des Reviers geben. Neben anderen Formularen und Berichten, Kranken- geschichten und statistischen Darstellungen, zeigte ich ihm auch einen soeben fertiggestellten Totenbericht. Es handelte sich hier um einen vollkommen frei erfundenen Bericht, nach dem der Häftling einem plötzlich aufgetretenen Hitzschlag erlegen sei. In Wahrheit war er wie so viele, viele andere Kameraden einfach verhungert, aber die Todes- ursache„Allgemeine Körperschwäche“ sollte nun einmal in den Akten desReviers und in den amtlichen Berichten nur selten gebraucht werden.
Dr. Blies wunderte sich, wie überaus sachgemäß die Häftlingspfleger den Fall behandelt hatten, und ließ sich von mir noch einmal bestätigen, daß wir Häftlingspfleger Behandlungen dieser Art vollkommen selb- ständig durchführten. Als er las, daß als letzter Versuch, das Leben des Häftlings zu erhalten, eine Cardiazoleinspritzung vorgenommen worden wäre, sagte er:„Donnerwetter, das machen Sie hier auch allein?“ Ich schwieg, denn ich wußte ja nur zu gut, daß in diesem Fall der ganze Bericht erlogen war, aber da ich andererseits wußte, daß wir Häftlings- pfleger gegebenenfalls genau dieselbe Behandlung durchgeführt hätten, hatte ich keine Ursache, die Frage zu verneinen.
Es dauerte nicht lange, bis Dr. Blies die Unwahrhaftigkeit der Toten- berichte und Krankengeschichten usw. erkannt hatte, und von da ab versuchte er es möglichst zu vermeiden, seinen Namen unter derartige Berichte zu setzen. Doch das war nicht zu vermeiden, es sei denn, daß er offen erklärt haben würde, nein, das tue ich nicht. Das aber wäre frag- los gleichbedeutend mit seiner sofortigen Liquidierung gewesen.
Und jedesmal, wenn ich Dr. Blies Schriftstücke zur Unterschrift vor- legte, dann sah ich, daß er einen regelrechten Anlauf nehmen mußte, ehe er die Hürde überspringen konnte, die das moralische Gesetz in ihm errichtet hatte. War aber die erste Unterschrift geleistet, dann folgten
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