Ich war aus irgendeinem mir nicht mehr bekannten Grunde auch anwesend. Aus einem Fenster der Baracke konnte man den ganzen Appellplatz bis hinauf zum Tor und zu den angrenzenden Gebäuden überschauen.
Ich sehe, wie Rose zunächst eine ganze Zeitlang die Aufnahmeuntersuchung aufmerksam verfolgt. Er ist offensichtlich genau so beeindruckt, wie die ahnungslosen und sich mucksmäuschenstill verhaltenden Zugänge. Auch er geht auf Zehenspitzen durch den Raum, um unseren ,, Hans" nicht zu stören, der mit der Würde und Autorität eines Medizinalrates die Untersuchungen vornimmt und mit den lateinischen Krankheitsbezeichnungen nur so herumwirft, als wäre er in der medizinischen Fakultät zu Hause wie die Hausfrau in ihrem Kochtopf. Ich muß lächeln, denn ich weiß, daß es nur wenige Tage dauern wird, dann wird Rose genau so ungehobelt durch den Raum latschen wie es die alten SDG.s zu tun pflegen. Jetzt geht er mit vorsichtig leisen Schritten durch den Raum, um sich die Barackeneinrichtung anzusehen. Er tritt an ein Fenster, das zum Appellplatz hinausgeht und guckt aufmerksam hinaus. Ich sehe, wie er den Kopf hin und her bewegt, als sähe er das, was er dort beobachtet, nicht genau, als wolle er sich die Sache möglichst von allen Seiten ansehen. Da erst achte ich darauf, daß oben am Tor der Bock in Betrieb ist.
Die Schmerzensschreie der Durchpeitschten und die knallenden Schläge der Züchtigungsruten dringen über den ganzen Appellplatz hinweg bis in unsere Baracke. Wir aber waren daran schon so gewöhnt, daß wir es ,, gar nicht mehr hörten".
Augenblicks stehe ich neben Rose. Ich will sehen, wie dieser SS.- Mann auf solche Brutalität reagiert. Er ist eine Spur blässer geworden und seine gutmütigen Augen verraten eine merkwürdige Mischung von Spannung und Entsetzen.
دو
, Was ist das da?" fragt er mich und wendet keinen Blick von der Prügelszene, die man von hier unten nicht deutlich erkennen kann.
Ich bemühe mich, meiner Stimme den Ton grenzenloser Gleichgültigkeit zu geben: ,, Das da? Ach, da kriegt einer nur 25 aufgezählt." ,, 25?" fragt Rose und seine Stimme zittert leicht.
,, Ja, 25 Stockhiebe. Man hat ihn auf den Bock geschnallt und zählt ihm nun 25 auf."
Der Häftling oben auf dem Bock schreit zum Steinerweichen und wimmert zwischen den einzelnen Schlägen mit langgezogenem Klageton, der hier unten zwar leiser, aber doch noch deutlich hörbar ist, und die Stockhiebe knallen wie entfernte Pistolenschüsse. Ich sehe, wie Rose
14 Poller, Buchenwald
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