sein Blick auf der Zeichnung, ruhig und sachlich klingen seine Worte und die zittrige Hand demonstriert unentwegt die blauen und roten Linien, die Kreuze und Punkte auf der Zeichnung.

Aber Ding ist längst nicht mehr bei der Sache. Ich sehe, daß sich irgendein Ausbruch in ihm anbahnt. Mein Herz klopft, ich bin wie ver- steint. Da! Jetzt hebt Ding seine Rechte, langsam, als ob ein Tiger seine Pranke hebt. Und dann, dann schlägt er zu, reißt die Zeichnung dem völlig erschreckten Kreuzfuchs aus der Hand, zerknüllt sie und schlägt sie dem Juden mit brutalem Fausthieb ins Gesicht! Der ist vollkommen fassungslos, begreift zunächst gar nicht, was vor sich ging, faßt sich dann, dreht sich hilflos hin und her und läuft dann zur Tür hinaus, als renne er um sein Leben.

Als Kreuzfuchs aus dem Zimmer ist, höhnt Ding in ohnmächtiger Wut, völlig unbeherrscht und schamlos durch die fest aufeinander- gepreßten Zähne:So ein Saustück! So ein Jude!

Ich gebrauchte einige Zeit, um restlos zu begreifen, was sich hier vor meinen Augen und Ohren abgespielt hatte.

LEN LESEN 5 nee

Der 1. September 1939 ist für uns im Konzentrationslager zunächst ein Tag wie jeder andere. Noch immer geistert der vor einer Woche abgeschlossene Nichtangriffs- und Konsultationspakt mit Rußland in den politischen Gesprächen herum. Jene, die es unbegreiflich fanden, daß damals, als die deutschen Truppen in die Tschechei einrückten, das zwischen der Tschecho-Slowakei und Rußland abgeschlossene Militär- bündnis nicht in Aktion trat, die die Forcierung des wirtschaftlichen Güteraustausches zwischen Deutschland und Rußland als eineunbe- deutende Angelegenheit abtaten, weil sie damit nicht fertig werden konnten, waren durch die Veröffentlichung dieses Paktes zwischen den beiden unversöhnlichsten Gegnern der Welt derart vor den Kopf ge- schlagen, daß es selbst den Zungengewaltigsten die Sprache verschlug.

Und nun ist der 1. September 1939 angebrochen, der Tag, an dem Hitler ununterbrochen seinen Vormarsch bis Narvik , Petsamo , Lenin- grad, Rshew, Wjasma, Stalingrad , Kaukasus , el Alamein , Irun , Brest und Amsterdam antritt. Es ist ein Tag wie jeder andere, denn der Ewigkeit Mühlen mahlen immer noch den 24-Stunden-Kreis und werden ihn bis ans Ende unserer Tage mahlen. Das Lager erwacht, und die Zehntau- sende, die noch arbeitsfähig sind, ziehen zum Appellplatz. Ich bin im

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