Und dann steht Kreuzfuchs vor dem Lagerarzt, bescheiden, zurückhaltend, klar in seinen Antworten und Darstellungen. Auf der einen Seite dieser verhutzelte, abgemagerte, auf dem Aussterbeetat stehende Mensch. Auf der anderen Seite der allgewaltige SS.- Sturmführer, eine einzige Demonstration blühendster Gesundheit. Und zwischen ihnen steht die Sache, nichts als die Sache. Auf der einen Seite das Wissen, das große Wissen, auf der anderen Seite die grandiose Möglichkeit, dieses für die ganze Menschheit segensreiche Wissen zu mobilisieren.. Auf der einen Seite der Gelehrte, dessen Kenntnisse so groß sind, daß sie nicht mehr schulmeisterlich belehrend, sondern unaufdringlich, bescheiden unterrichtend wirken, auf der anderen Seite der SS. - Offizier, der hochtalentiert ist und gewiß mit dem letzten Rest von Anstand, der noch in ihm lebt, aufspürt, daß hier eine große Sache vor ihm ausgebreitet wird, jenseits schon von Persönlichem und von IndividuellMenschlichem.
Ding unterhält sich, stellt Fragen, äußert Ansichten und-- entläßt dann den Juden, ohne hämische Bemerkung, ohne eine Geste, aus der wir hätten schließen können, daß er uninteressiert wäre.
Ich hätte gerne mehr gewußt, stelle mich deshalb unwissend und frage Dr. Ding: ,, Was war denn das für einer?" Ding antwortet: ,, Das war der Kreuzfuchs. Der Mann weiß was." Mehr sagt Ding nicht, aber selbst das wenige war Wasser auf die Mühle unserer Zuversicht.
Ein paar Tage später meldet sich Kreuzfuchs wieder beim Lagerarzt und wird auch vorgelassen. Er hat eine Zeichnung angefertigt, die er Ding erklären will. Es handelt sich um das Aneurysma, die krankhafte Erweiterung der Aorta. Ding ist interessiert und läßt sich die Zeichnung bis ins einzelne erklären. Kreuzfuchs wird von seinem Lieblingsthema fortgerissen. Er holt weit aus, den Blick unverwandt auf die Zeichnung geheftet und mit den zittrigen Fingern zuweilen das, was er sagt, auf der Zeichnung demonstrierend. Ich vermag dem Vortrag nicht mehr zu folgen und beschränke mich darauf, Kreuzfuchs und Ding zu beobachten.
Kreuzfuchs ist ganz im Banne seiner Darstellung, Ding läßt ebenfalls zunächst keinen Blick von der Zeichnung. Doch jetzt blickt er auf Kreuzfuchs, dann wieder auf die Zeichnung, dann wieder auf Kreuzfuchs, dann zurück zur Zeichnung.
Da! was flackert in Dings Augen!? Ich sehe deutlich, daß er dem Vortrag gar nicht mehr folgt, daß irgendetwas anderes in ihm vorgeht. Sein Kinn schiebt sich vor, seine Lippen pressen sich aufeinander.
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Kreuzfuchs merkt von dieser Veränderung nichts, unverwandt ruht


