so Stellung genommen, aber er war
Jude. Ja, ich glaube, er war so völlig versponnen in seine wissenschaftliche Aufgabe, daß er es sogar vergessen hatte, daß er Jude war. Aber er war es! Jude, nichts als Jude, nur ein Jude! Und das war sein Unglück!
Einen Tag, nachdem Hitler Wien ,, befreit" hatte, wurde er nach Buchenwald gebracht, denn er war - Jude!
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Was ich von ihm zu berichten habe, ist nicht sonderlich viel, und es gäbe drastischere Beispiele, aber ich will mich darauf beschränken.
Kreuzfuchs war im Lager ein altes, verhutzeltes Männchen geworden, abgemagert bis zum Skelett. Und als ich ihn kennenlernte, war er so schwach, daß er nicht einen einzigen Tag in einer Arbeitskolonne auẞerhalb des Lagers überstanden hätte. Er war ,, abgeschirmt" worden und arbeitete in einer Kolonne innerhalb des Lagers. Wer ihn sah, hätte kein Anzeichen dafür aufzeigen können, daß dieser Häftling ein Gelehrter war, so restlos ,, entpersönlicht" war er.
Seine Tage waren ohne Frage auch innerhalb des Lagers gezählt. Die jüdischen Freunde, die ihn kannten, wußten darum, und man sann nach einem Weg, ihm wenigstens für kurze Zeit Ruhe zu verschaffen.
Hatten die zwei, drei jüdischen Ärzte, die der Lagerarzt Dr. Ding für sich eingespannt hatte, gemessen an ihren jüdischen Mithäftlingen nicht auch ein wenig Ruhe? War es nicht bekannt, daß diese Ruhe ein erbärmliches, aber nun einmal nicht zu verhinderndes Aquivalent für das Wissen und Können war, das sie dem Herrn SS .- Arzt abgetreten hatten? War es nicht möglich, Dr. Ding auch für eine epochale Entdeckung der Röntgenologie zu ,, interessieren"? Ja, hier war eine Chance für Kreuzfuchs!
Unmerklich wird Dr. Ding durch die jüdischen Ärzte Schritt für Schritt vorbereitet. Zuerst fällt bei einer Prognose wie unbeabsichtigt das Wort Röntgenologie . Dann wird von Ergebnissen der Röntgenologie gesprochen. Dann später von Erfolgen. Nach einigen Tagen ist Ding so weit vorbereitet, daß er ohne Opposition die lapidare Weisheit schluckt, daß in bestimmten Fällen die Röntgenologie das einzige bislang bekannte Hilfsmittel des Arztes ist, eine Krankheit sicher zu erkennen. Und wieder nach einigen Tagen äußert Ding von sich aus den Wunsch, diesen Kreuzfuchs, der doch schon Epochales auf dem Gebiete der Röntgenologie geleistet hat, kennenzulernen. Wir sind sehr zuversichtlich.
Kreuzfuchs ist so weltfremd, daß wir ihm einreden müssen, er wäre es seinem Lebenswerk schuldig, dem Lagerarzt Rede und Antwort in Fragen der Röntgenologie zu stehen.
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