getreuen Berichten Glauben zu schenken. Die Nazis wußten es. Sie wußten, daß das träge Weltgewissen nur zu leicht geneigt war, die unfaßbare Wahrheit mit dem Wort ,, Greuelpropaganda" abzuschütteln. Sie wußten, daß selbst der Jude, der die grauenhaften Verbrechen der Nazis mit überzeugendster Kraft in alle Welt hinausschrie, ihnen augenblicks nicht sonderlich gefährlich werden konnte. Ja, sie rechneten kalt und nüchtern: Die Wahrheit wird dem Juden nicht geglaubt, und die Tatsache, daß man ihn lebend ins Ausland hatte reisen lassen, verstärkt nur seine Unglaubhaftigkeit.
Und heute, nachdem das Verbrechen der Nazis vor jedem Menschen offen liegt, wissen wir, daß die teuflische Rechnung aufgegangen ist. Das Weltgewissen schwieg bis zu dem Augenblick, wo angloamerikanische Truppen in die Läger eindrangen und den letzten schwachen Abglanz der unsagbaren Tragödie mit eigenen Augen sahen. Da erst berichteten alle Zeitungen der Erde über Buchenwald , Belsen, Auschwitz und Dachau . Da erst ging der Welt das Grauen auf, das sich vor dem deut schen Volk und vor der Welt mit dem Worte ,, Nationalsozialismus " getarnt hatte. Da erst erhoben die Regierungen und verantwortlichen Staatsmänner anklagend ihr gewichtiges Wort.
Wir wissen heute, daß das Weltgewissen vorher nicht wachgerüttelt wurde, aber nicht, weil es nicht wachgerüttelt werden wollte, sondern weil es nicht wachgerüttelt werden konnte, denn niemals ist die Wahrheit so unglaubhaft, so infernalisch in der Welt gewesen wie hier. Wie schwer aber wird es sein, das Gewissen Deutschlands wachzurütteln und wach--- zu erhalten!! Denn hier türmt sich noch ein gewichtiges psychologisches Moment schier undurchdringlich vor die Wahrheit. Der verantwortungsbewußte Mensch bricht nur zögernd den Stab über den Mitmenschen. Hier aber muß mancher über sich selbst den Stab brechen! Und das tut kaum einer freiwillig und keiner gerne! Jeder Mensch ist nur zu gern geneigt, seine Augen vor einem schaudervollen Abgrund zu verschließen. Hier aber ist es dringendstes Gebot der Stunde, daß das deutsche Volk die Augen für alle Zeiten aufreißt, denn nur so kann es sich wandeln!
Heute sehe ich Aufgabe und Schwierigkeiten klar vor mir ausgebreitet, damals, als ich meinem jüdischen Kameraden das Gesundheitsattest ausfertigte, stand ich noch vor Unbegreiflichkeiten. Der Häftling wollte nach Holland auswandern. Er benötigte das einfachste Gesundheitsattest, eine Bescheinigung, daß er gesund sei und an keiner ansteckenden Krankheit litte.
Wenngleich ich auch annahm, daß die Ausstellung des Attestes keine
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