Das Ergebnis der ,, Cardiazolprobe" war die Feststellung, daß es sich bei fast allen Häftlingen der Kompanie um Epileptiker handelte, die in eine Heil- und Pflegeanstalt gehörten. Ding veranlaßte auch die Überführung einer Anzahl Häftlinge in solche Anstalten. Ich bin nicht darüber im Bilde, ob Ding damals bereits wußte, daß unter der nationalsozialistischen Ära solche Kranke in diesen Anstalten auch liquidiert wurden.
In der Verwaltungsbaracke des Häftlingsreviers war neben dem Bestrahlungsraum, der Apotheke, dem septischen Operationsraum, dem Laboratorium, dem Kartei- und dem Arztzimmer auch die Ambulanz untergebracht. Sie war in eine äußere und in eine innere Ambulanz unterteilt. Hier walteten Häftlingspfleger, wozu von uns gerne ehemalige Arbeitersamariter und andere geschickte und interessierte Häftlinge genommen wurden, die man entsprechend anlernte, ohne ärztliche Aufsicht und selbständig ihres Amtes.
Der Arzt und der Laie, der von Heilkunde einige Ahnung hat, dürften über diese Handhabung entsetzt sein. Sie werden es noch mehr sein, wenn sie erfahren, in welchem Ausmaße bis zu schwierigen Diagnosen und Prognosen und bis zu Operationen und Amputationen hier ärztliche Betreuung von„, blutigen Laien" durchgeführt wurde. Aber sie werden nicht nur aufs höchste entsetzt, sondern einfach sprachlos sein, wenn sie erfahren, mit welcher grenzenlosen Dummheit, Gewissenlosigkeit, Faulheit und Leichtfertigkeit hier sogenannte SS.- Ärzte ihren Beruf ausübten, und mit welcher Nonchalance sie das Wenige, was sie wußten, in den Dienst verbrecherischer sadistischer, mörderischer Naziideologie stellten.
Es gab natürlich auch Ausnahmen. Ich nenne Dr. Blies aus Offenbach am Main , Dr. Zahel aus Österreich , der eine Mediziner, der andere Chirurg, zwei Ärzte, die leider viel zu kurze Zeit im Lager waren, ihre ärztliche Aufgabe ohne Ansehen der Person durchführten, aber nur wie ein Tropfen auf einem heißen Stein waren. Ja, ein Tropfen auf einem heißen Stein, nichts weiter, aber doch wieviel, wieviel im Blickfeld der Häftlinge, die Tag für Tag, stündlich, sekündlich, dies ,, lasciate fare ogni speranze" grausamst erlebten!
Ununterbrochen während des ganzen Tages vom Wecken bis zum ,, Zapfenstreich" hatten die Häftlingspfleger in den Ambulanzen zu tun. Nur während der Appellzeit lagen die Räume verwaist. Der Haupt
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