Pflegerkleidung deutlich als Häftlingspfleger zu erkennen war, wagte ich, den Verhau auf der Bohle zu überklettern.

Die Kleidung, die wir uns selbst zugelegt hatten, hatte überhaupt eine eigenartige Wirkung. Und diese Wirkung allein, nicht etwa irgendeine Eitelkeit höchst unangebrachter Art, war es, die uns veranlaßte, auf unsere Kleidung besondere Sorgfalt zu legen. Wir stachen mit unseren sauberen, schneeweißen und gepflegten Anzügen derartig von der all­gemeinen Lagerbekleidung ab, daß selbst die SS. - Leute sich davon be­eindrucken ließen. Man hielt uns für eine besondere Sorte Mäuse, mit der wahrscheinlich weniger gut kirschenessen war, und ließ uns fast immer ungeschoren, selbst auch dann noch, wenn wir uns mit der ge­nügenden Sicherheit und Selbstverständlichkeit Dinge herausnahmen, für die andere Häftlinge ,, zu Klumpen geschlagen" wurden., Kleider machen Leute", dieses Sprichwort, mit dem das Volk mit Recht mehr kritisiert als guten Rat erteilt, hatte sogar im Konzentrationslager seine Gültigkeit nicht ganz eingebüßt.

Unmittelbar vor dem Drahtzaun lag eine Doppelreihe spanischer Rei­ter. Diese hatte der Häftling noch überklettern müssen, um den geladenen Draht zu berühren. Als ich näher trat, rief mich der Wachtposten vom Turm an: ,, Vorsicht! Strom ist noch nicht ausgeschaltet!" Was doch die Kleidung alles tut! dachte ich; hätte ich die übliche Häftlings­kleidung getragen, ich hätte wahrscheinlich schon längst ein paar Kugeln aus der, Fettspritze" im Leib. Nun war der ehrenwerte Staatsbürger dort oben sogar um mein Wohlergehen besorgt--­

Der tote Häftling, der verkrampft mit wächsernem Gesicht am Draht hing, war barfuß. Ich sah deutlich, wie er mit seinen nackten Füßen über den Stacheldraht gelaufen war, und mußte daran denken, in welcher Ver­zweiflung er sich befunden haben mußte, um dieser Qual nicht zu achten.

Noch stand ich bei der Leiche, als ich hinter mir im Wald erbärm­liche Schmerzensschreie hörte, die anfangs immer lauter, dann aber bald kläglicher wurden, bis sie ganz erloschen, in der Abstufung etwa wie das Angst- und Schmerzensgeschrei eines Schweines, das ohne Betäubung von einem ungeschickten Schlächter umgebracht wird. Bald darauf wie­der ähnliche Schmerzensschreie, diesmal nur dumpfer, qualvoller, noch entsetzlicher, langgezogen und röhrend. Dazwischen mengte sich nun mit hellem Diskant ein flehendes, ungeheuer verzweifeltes Gejammer, als wenn ein Weichling in entsetzlicher Todesangst und unter fürchter­lichen Qualen um sein Leben schrie.

Es war mir sofort klar, daß irgendwo ein, Strafvollzug" stattfand, und trotzdem es immer ratsam war, um solche Stätten einen möglichst

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