so wurden andere prominente Häftlinge, wie Neubauer, Mierendorff, der Sohn von Eisner usw., durchaus nicht besonders behandelt.
Ich lernte Walter Stoecker näher kennen, als er wegen einer plötzlich aufgetretenen Gesichtsnervenlähmung in Revierbehandlung kam und mit Zustimmung des Lagerarztes Dr. Ding auch nach seiner Heilung noch einige Zeit zur Erholung im Revier verblieb.
Zwar habe ich Stoecker nie als Redner in Volksversammlungen gehört, weiß also auch nicht, wie er dort operierte und argumentierte. In den persönlichen Gesprächen mit mir zeigte er sich als gebildet, belesen und von ruhiger Sachlichkeit, ohne jenen unangenehmen, überheblichen und unsachlichen Eifererbeigeschmack, den ich bei Agitatoren seiner politischen Richtung leider häufig antraf.
Wir haben nicht nur soziale, wirtschaftliche und politische Probleme durchgesprochen, wir haben uns auch über kulturelle, philosophische, künstlerische und religiöse, naturwissenschaftliche, technische und pädagogische Fragen ausführlich unterhalten und haben hier fast immer Übereinstimmung der Anschauung und der Zielsetzungen festgestellt. Es war eine Lust, mit ihm zu diskutieren, wenngleich ich auch nicht verhehlen kann, daß wir uns in der Frage der Taktik weitgehend differenzierten. Diese taktischen Differenzen bedürfen weiterer Klärung, und es wird Sache des deutschen Volkes sein, in den kommenden schweren Jahren damit fertig zu werden, denn mit ihrer Klärung wird über Leiden und Wohlfahrt des Weges entschieden, der die Wunden des Krieges heilt und zu einem wohnlichen Menschheitsbau führt.
Es liegt eine besondere Tragik über Walter Stoeckers Tod, und darum will ich hier auch darüber berichten.
Im Lager war eine Typhusepidemie ausgebrochen und eine Schutzimpfung aller Häftlinge angeordnet worden. Die Impfung wurde ohne SS.- Aufsicht von Häftlingspflegern durchgeführt, und deshalb konnten wir den Häftlingen, denen die strikte Einhaltung der Vorschriften zuzutrauen war, die eine Infektion ohne weiteres verhüteten, die Impfung freistellen. Die meisten Häftlingspfleger verzichteten auf die Schutzimpfung, Walter Stoecker , der noch im Revier lag, tat es nicht.
Und Walter Stoecker war einer von jenen äußerst seltenen Fällen, die bei einer derartigen Massenimpfung leider immer eingesetzt werden
müssen.
Der Typhusbazillus hat eine sieben- bis neuntägige Inkubationszeit, d. h. zwischen der eigentlichen Infektion und dem ersten Auftreten der Erkrankung liegen sieben bis neun Tage. Erfolgt eine Schutzimpfung in dieser Zeit, dann erkrankt der Geimpfte meistens besonders schwer.
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