Wir kamen überein, daß er mich bei den nächsten Fällen sofort be­nachrichtigen sollte; vielleicht wäre ich bei besonderer Aufmerksamkeit in der Lage, dann irgend etwas zu beobachten, das uns einen Fingerzeig zur Aufklärung der rätselhaften Angelegenheit geben würde. Es wurde die Vermutung ausgesprochen, daß es sich dabei vielleicht um die Liqui­dierung von mißliebig gewordenen SS. - Leuten handeln könnte.

Als ich dann einige Zeit später von ihm entsprechend benachrichtigt wurde, ließ sich--- SS. - Oberscharführer Seehausen wieder eine Kol­lektion Todesformulare aushändigen. Wir waren einen Schritt weiter und wußten nun, daß von den SS. - Schergen auch Personen ermordet wurden, die man gar nicht erst in das Lager einlieferte.

Der Schlußstein ließ nicht lange auf sich warten. Es gelang mir, ein von Seehausen ausgefülltes Formular zu Gesicht zu bekommen, und ich las in der Rubrik Todesursache: ,, Erschossen auf Befehl Reichsführer SS." Und schon wenige Monate später, als viele Dinge, die anfangs vor mir geheim gehalten wurden, mir dann aber nach und nach bekanntgewor­den waren, hielt man auch diese Formulare nicht mehr vor mir geheim, ja ließ sie dann sogar ohne Bedenken von mir ausfüllen und häufig genug tippte ich als Todesursache in die Formulare: ,, Erschossen auf Befehl Reichsführer SS."

Ich will gerne zugeben, daß diese Formulierung eindeutig und klar ist und daß sie im Rahmen des Konzentrationslagers und der vielen Millionen Morde, die auf dem Schuldkonto des Naziverbrechertums stehen, im Grunde eigentlich auch nichts Besonderes ist.

Und dennoch ist es notwendig, einige Ausführungen dazu zu machen, denn hier lüftete das Naziverbrechertum offenbar seine Maske. Und daß die Helfershelfer des größten Mörders unserer Zeit davon wußten, beweist der Umstand, daß man diese offene Formulierung lange Zeit selbst vor mir, einem Häftling, vor dem man notgedrungen vieles nicht verbergen konnte, geheim zu halten suchte. Mit Sorgsamkeit waren die Verbrecher darauf bedacht, daß ihre zahllosen Morde und Grausam­keiten weder durch Zeugen noch durch Schriftstücke und dergleichen bewiesen werden konnten.

Ein großer Teil des deutschen Volkes und der Welt wußte zwar, daß der Nationalsozialismus den einstmals hochangesehenen deutschen Richterstand zum willfährigen Werkzeug seiner Verbrecherpolitik um­gewandelt hatte, aber man war der Ansicht, daß erst nach einem ord­nungsgemäßen Gerichtsverfahren ein Urteil gesprochen werden und nach einem Urteilsspruch erst die Urteilsvollstreckung erfolgen konnte. Die Blut- und Schreckensjustiz der Nazis wahrte wenigstens nach außen

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