und ich lasse mich in meiner Arbeit dadurch nicht stören. Wird wohl wieder ein Häftling durchgebläut.
Einige Zeit später trete ich zufällig auf den Gang hinaus. In der Dunkelheit sehe ich eine Bahre, auf der ein Häftling liegt. Rund herum stehen andere Häftlinge. Ein Häftlingspfleger kniet neben der Bahre und untersucht den Häftling. Ich gehe vorbei, ohne mir den Fall näher anzuschauen. Beim Zurückkommen sehe ich, wie der Pfleger den steif auf der Bahre liegenden Häftling mit heftigen Ohrfeigen traktiert. ,, So ein Mistfink", sagt der Pfleger ,,, hat gar nichts, ist kerngesund, markiert nur!" und versucht, den Häftling durch weitere Ohrfeigen zum Aufstehen zu bewegen.
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Ich sehe mir den Häftling näher an. Er ist ein ,, Roter". Ein Roter? Jetzt interessiert mich der Fall, und ich erkenne in dem schummrigen Licht meinen Kameraden aus Halle. Natürlich wird das Schlagen darauf sofort eingestellt und der Kamerad in die Station eingewiesen. Inzwischen hatte ich ja genügend Gelegenheit gehabt, mich mit den Merkmalen der Schizophrenie vertraut zu machen, und mit einem Schlage war mir klar, daß mein Kamerad aus Halle schizophren war und sich jetzt in einem Sperrzustand befand. Der Mann war krank und gehörte während der Schubzeiten möglicherweise, aber nicht einmal sicher, in eine Heilanstalt, nicht in ein Konzentrationslager.
Ich suchte in den Revierakten und fand auch Krankengeschichten und Gutachten von zwei Heil- und Pflegeanstalten über ihn vor. Fraglos handelte es sich hier um einen Fall harmloser Schizophrenie, und. selbst die eingehenden Beobachtungen von durchstandenen Schüben gaben keinerlei Handhabe für die Durchführung einer Sterilisation, da diese Schübe sich stets nur in schnell vorübergehenden Sperrzuständen, niemals aber in einer auch nur leicht gefährlichen Aktivität äußerten. Die minutiös aufgeführten Krankengeschichten waren so eindeutig, daß selbst ein nur höchst mangelhaft ausgebildeter Psychiater den Fall sofort richtig beurteilen konnte. Die Nazis aber hielten es für richtig, diesen harmlosen Kranken in das ,, Sanatorium Buchenwald" einzuliefern-
Zuweilen kam es vor, daß SS.- Oberscharführer Seehausen sich von mir eine Kollektion derjenigen Formulare aushändigen ließ, die bei jedem Todesfall ausgefüllt werden mußten. Ich konnte mir den Verwendungszweck zunächst nicht erklären. Unter anderem wurden für die
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