waren insbesondere die Fälle, die ordnungsgemäß dem Erbgesundheitsgericht zur Beschlußfassung vorgelegt wurden, wenngleich ich auf Grund meiner Erfahrung auch nicht hundertprozentig davon überzeugt bin, daß alle Entscheidungen des Erbgesundheitsgerichts ohne Beeinflussung durch den Schatten blieben, den ,, Buchenwald " ausstrahlte.
Die Fälle von zirkulärem Irresein, erblicher Fallsucht, Veitstanz, erblicher Blindheit oder Taubheit waren selten. Aber Alkoholismus und angeborener Schwachsinn, also jene Fälle, die sowieso schon schwer abzugrenzen sind, waren häufiger, denn hier hatte der Nazismus seine Domäne, hier konnte sich die leichtfertige und verbrecherische Grundhaltung des Nationalsozialismus schon unkontrollierbarer austoben. Jener Grundsatz ,, in dubio pro reo"( in Zweifelsfällen für den Angeklagten), der einstmals den deutschen Richterstand zu höchstem Ansehen in der gesamten Kulturwelt geführt hatte, existierte für die Nazigewaltigen nicht. Im Gegenteil, sie waren wie der Teufel nach der Seele darauf versessen, alles Recht zu brechen, um ihren unmenschlichen Trieben und ihrer verbrecherischen Gesinnung zu frönen. Schwerster Alkoholismus lag bei ihnen vor, wenn jemand schon einmal im Arbeitshaus gewesen oder zur Ernüchterung einmal in polizeiliche Schutzhaft genommen worden war. Angeborener Schwachsinn lag bei allen Analphabeten fast alle Zigeuner im Lager waren Analphabeten- und bei jedem sogenannten arbeitsscheuen Häftling vor. Gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher war jeder, der schon einmal wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens(!) vorbestraft war.
-
Keine einzige der zu meiner Zeit in Buchenwald vorgenommenen zahlreichen Entmannungen hatte die im Gesetz vorgeschriebene Voraussetzung.
Ich wurde Zeuge von einigen Fällen, in denen das Gericht die beantragte Entmannung sogar ausdrücklich abgelehnt hatte. Entmannt wurden nicht nur Sittlichkeitsverbrecher, sondern auch homosexuelle Häftlinge, Rassenschänder und Häftlinge, die sich irgendwann einmal und wenn es auch schon Jahrzehnte her war, ein Sittlichkeitsdelikt verhältnismäßig harmloser Art, ein sogenanntes Vergehen oder eine Übertretung hatten zuschulden kommen lassen. Für keine einzige Entmannung wurde ein Beschluß des Erbgesundheitsgerichts eingeholt. Der„, freiwillige" Antrag des Häftlings und die formalen Unterschriften zweier SS.- Ärzte ich weiß nicht recht, ob ich den Namen Ärzte hier überhaupt gebrauchen darf- genügten, um die Entmannung rücksichtslos und manchmal dazu noch nicht einmal chirurgisch einwandfrei durchzuführen.
-
117


