Totenmeldungen, die für den Appellbericht gebraucht wurden, unterschreiben mußten, wenn weder Arzt noch SDG. im Lager waren, und das war von vierundzwanzig Stunden meistens zwanzig Stunden der Fall. Diesen Arztvormeldeschein mußte der Häftling seinem ArbeitsKapo zur Abmeldung für diesen Tag vorlegen und legitimierte ihn zum Verbleiben im Lager. Wenn wir dem Häftling keinen Arztvormeldeschein mehr aushändigen konnten, führten wir Name und Nummer des Häftlings auf einer Sammelliste auf, die wir dem Appellführer aushändigten, der die Nummern dann beim Morgenappell durch den Lautsprecher verlas und die aufgerufenen Häftlinge bei ,, Schild 2" antreten ließ, von wo aus sie dann geschlossen zum Häftlingsrevier geführt wurden. Wer ohne eine derartige Legitimation im Lager angetroffen wurde oder nicht nachweisen konnte, daß er innerhalb des Lagers beschäftigt war, wurde grausam bestraft, so daß es kaum ein Häftling wagte, sich von der täglichen Arbeit zu drücken.
Mir war sofort klar, was Seehausens Anordnung zu bedeuten hatte. Ich suchte darum den Stubenältesten der Strafkompanie auf und orientierte ihn. Wir verfielen auf folgenden Ausweg: Meier wurde für den nächsten Tag zu jenem Teil der Strafkompanie eingeteilt, der innerhalb des Lagers arbeitete. Der Kapo wurde beauftragt, in der Nähe des Häftlingsreviers arbeiten zu lassen, so daß Meier für mich jederzeit erreichbar war.
Am nächsten Vormittag stand Meier natürlich nicht bei den Arztvormeldern an der Stirnwand der Baracke, aber ich sah, daß ein Teil der Strafkompanie in unmittelbarer Nähe beschäftigt war. Und als Dr. Ding mir den Auftrag gab, Meier hereinzurufen, trat ich wie üblich vor die Baracke und rief mit lauter Stimme seinen Namen.
Deutlich sehe ich, daß Seehausen völlig überrascht ist, als ich mit Meier das Arztzimmer wieder betrete. Daß auch Ding mit von der Partie in diesem niederträchtigen Spiel ist, erkenne ich an seiner ersten Frage: ,, Wo kommst du her?" Meier, dessen Gesicht geschwollen und blutunterlaufen ist, antwortet: ,, Von der Arbeit, Herr Sturmführer." ,, Wieso von der Arbeit?" ,, Ich bin hier am Weg beschäftigt, Herr Sturmführer."
Und wieder weigert sich Julius Meier, das Formular: ,, Hiermit beantrage ich freiwillig meine Entmannung, um von meinem perversen Geschlechtstrieb befreit zu werden." zu unterschreiben. Und wieder beginnt die entsetzliche Folterung. Deutlich sehe ich, daß Meier weich in den Knien wird, aber sobald er aufgefordert wird, den Antrag zu unterschreiben, schüttelt er mit dem Kopf. Wieder, wieder und immer wieder.
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