schickte, irgendeine Frage zu stellen oder einen Einwand zu erheben, dann sorgten ein paar Faustschläge und Fußtritte der SDG.s für ,, schnelle Bereinigung des Falles, und der Häftling unterschrieb mit einer noch etwas stärker zitternden Hand. Nur in den wenigsten Fällen bereitete die freiwillige Unterschriftsleistung größere ,, Schwierigkeiten".

Wegen Verstoßes gegen die Nürnberger Rassengesetze wurde der etwa zwanzigjährige Jude Julius Meier nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe in das Konzentrationslager eingeliefert. Er war ein großer, kräftiger, kerngesunder Bursche, intelligent, gebildet, bescheiden und, wenn er sich nicht selbst als Jude bezeichnet hätte, nicht als solcher zu erkennen. Für den Eingeweihten war von vornherein klar, daß es sich hier um einen verhältnismäßig harmlosen Fall von Rassenschande handeln mußte, denn eine Gefängnisstrafe wurde von den damaligen Gerichten nur dann verhängt, wenn alle Umstände dafür sprachen, daß der Ver­kehr mit Einwilligung des unterrichteten Partners erfolgt war, ohne daß der Jude irgendein Abhängigkeitsverhältnis, die Versprechung oder Ab­gabe von Vorteilen oder dergleichen als Druckmittel benutzt hatte.

Die Gerichtsakten, die der Lagerarzt angefordert hatte, nachdem ihm Meier von der Politischen Abteilung gemeldet worden war, wiesen folgendes aus: Meier hatte längere Zeit mit einer sexuell weniger gut beleumundeten Hausangestellten seiner Eltern Verkehr gehabt. Eines Tages waren von Nachbarn Vorgänge beobachtet worden, aus denen sie schließen konnten, daß zwischen ihm und der Hausangestellten In­timitäten bestanden. ,, Man" erstattete Anzeige. Beide Partner wurden ver­haftet und gaben die ,, Rassenschande" zu, wobei der widerspruchsvollen. Darstellung der Hausangestellten- die natürlich unter Druck vergewal­tigt sein wollte!- selbst vom Gericht kein Glauben geschenkt wurde. Hätte die Hausangestellte nur ein wenig intelligenter gelogen, dann wäre Meier fraglos zu einer weit empfindlicheren Zuchthausstrafe ver­urteilt worden.

Es ist mir nicht klar geworden, warum der Lagerarzt ausgerechnet die Entmannung dieses Juden durchführen wollte, denn es gab andere Fälle von Rassenschande, in denen die Entmannung mit einem weit stärkeren Schein des Rechts hätte durchgeführt werden können. In den politischen Akten des Meier, die ich daraufhin durchsah, fand ich keinerlei Anhaltspunkte.

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