Es liegt auf der Hand, daß die gesetzlichen Voraussetzungen zur zwangsweisen Entmannung oder Sterilisierung bei den im Lager vorhandenen Häftlingen in fast allen Fällen nicht gegeben waren. Aber die Bestimmung, daß eine Entmannung oder Sterilisierung auch dann durchgeführt werden konnte, wenn ein freiwilliger Antrag vorlag und mindestens zwei Ärzte die Durchführung befürworteten, gab die for­male Handhabung für die Befriedigung einer unmenschlichen Geistes­haltung oder sadistischer und viehischer Begierden.

Davon, daß irgendein Häftling von sich aus herkam und seine Ent­mannung oder Sterilisierung beantragte, konnte überhaupt keine Rede sein. In jedem Falle wurde der Häftling vom Lagerarzt vorgeladen und zur Stellung des Antrages gezwungen. In vielen Fällen brauchte der Lagerarzt nur ein paar ,, energische" Worte zu sagen, um den Häftling widerspruchslos zur Unterschrift zu veranlassen, denn die ganze Lager­atmosphäre hatte fast immer die ausreichende Vorarbeit geleistet, um jeglichen Widerspruch auszuschalten. Der Häftling wurde in das Arzt­zimmer geführt, nachdem er vorher von Mithäftlingen instruiert wor­den war, wie er sich zu melden hatte. Die Unterschriftsleistung vollzog sich meistens wie folgt:

Hinter dem Schreibtisch saß der Lagerarzt mit dem ominösen Akten­deckel vor sich, indes sich etwas im Hintergrund die SDG.s aufhielten. Der Häftling kam auf Strümpfen in das Arztzimmer, baute sich vor dem Schreibtisch des Lagerarztes in strammer Haltung auf und meldete: ,, Arbeitsscheuer Häftling Nummer XX zur Stelle!" Dann tat der Lager­arzt so, als studierte er die vor ihm liegende Akte, ohne den Häftling eines Blickes zu würdigen. Die herrschende Stille tat das ihre, um den Häftling noch unsicherer zu machen.

Dann, nach ein oder zwei Minuten, blickte der Lagerarzt langsam von der Akte auf, die er in drei Sekunden hätte durchlesen können, und sagte, leise anfangend und langsam bis zum Brüllen lauter werdend: ,, Na, du Mistvogel. Du bist ja eine ganz besondere Marke. Was hast du alles auf dem Kerbholz? Na, nun haben wir dich aber. Hier wird nicht lange gefackelt! Für dich wäre es bestimmt besser, wenn du überhaupt nicht da wärst, du Sauhaufen!! Wollen wir wenigstens verhindern, daß noch mehr solche Schweinehunde wie du herumlaufen!! Wirst jetzt sterilisiert, verstanden!?"

Und dann fügte er rasch, leise und sachlich, geradezu suggestiv hinzu: ,, Hier, mach die Sache kurz, unterschreibe!"

In den meisten Fällen unterschrieben die Häftlinge den Antrag, häufig genug, ohne ihn erst durchzulesen. Wenn sich das Opfer nur leise an­

106