wahrscheinlich irgendeinen Giftmord, denn wenn er auch seinen Fund im Sektionsprotokoll nicht vermerkte, so packte er ihn doch sorgfältig ein, um ihn gewiß zu Hause mikroskopisch oder chemisch zu untersuchen.

Als Todesursache wurde ,, Versinkungstod" angegeben. Eine Schädel­öffnung wurde gar nicht erst vorgenommen.

Versinkungstod. Das war ein Wort, das selbst unser Lagerarzt Dr. Ding noch nicht gehört hatte. Aber es war die ultima ratio dieses Falles, denn nun waren die beiden in Arrest genommenen Häftlinge keine. Mörder mehr. Nun hatte die Verwaltung um- und weitsichtig alles ge­tan, um den Vorfall in einwandfreiester Weise zu klären. Nun konnte der Herr Untersuchungsrichter, gestützt auf alle Protokolle ,,, gerecht" darüber befinden, ob die Häftlinge aus der Untersuchungshaft entlassen werden konnten oder nicht. Nun brauchte der Herr Staatsanwalt nur die Akten zu studieren, um das Verfahren gar nicht erst zu eröffnen. Nun stand alles schwarz auf weiß fest, und alle Instanzen: Lagerverwaltung, Politische Abteilung, Kriminalpolizei, Untersuchungsrichter und Staats­anwalt, alle hatten ,, unabhängig von einander" den Fall ,, gründlichst" und unvoreingenommen untersucht und es an keiner Umsicht fehlen lassen. Der Häftling war tot, die Tragödie vorüber und das Hornberger Schießen glückhaft zu Ende gegangen. Was möglicherweise noch hätte Staub aufwirbeln können, das hüllten noch am gleichen Tage die Flam­men des Weimarer Krematoriums für immer ein--

茶茶

Immer wieder, wenn die vielen tausend Häftlinge morgens auf dem Appellplatz blockweise angetreten waren und die Abnahme des Appells besonders lange dauerte, ertönte es durch die Lautsprecheranlage: ,, Der Stubendienst in den Wald!"

Dann wußten wir, es hatte wieder einmal irgendeiner den Verzweif­lungsmut gefunden, seinen Lagerqualen ,, freiwillig" ein Ende zu setzen. Dann gingen die Blockältesten mit den Häftlingen, die für den Stuben­dienst in den Baracken und Blocks abgestellt waren, in Schützenlinie aus­geschwärmt in den am Fuße des Lagers gelegenen Buchenwald . Häufig dauerte es nur zehn oder zwanzig Minuten, manchmal aber auch be­deutend länger, bis ein Rufen und Johlen, das sich wellenförmig bis an das Lagertor fortpflanzte, mitteilte, daß man den ,, Mistvogel" gefunden hatte. Ein Scharführer überzeugte sich von dem Vorhandensein der Leiche und der Appell konnte abgenommen werden. Der Vorfall machte

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