geben, daß sie einen solchen Vorfall nicht hatte verhindern können? Daß so etwas überhaupt im Lager möglich war? Eine Anklage wegen Mordes gegen die beiden Häftlinge hätte zu einer Gerichtsverhandlung führen können, von der man nicht wissen konnte, welches faule Ei dabei für die Verwaltung herausgekommen wäre. Denn am Ende konnte man es zwei Mördern, die um ihren Kopf kämpften, nicht verdenken, wenn sie zu ihrer Entlastung einige Tatsachen geltend machen würden, bei denen die Lagerverwaltung die Angeklagte war. Auf der anderen Seite aber mußte sich die Lagerverwaltung unter allen Umständen decken. Auch mußte sie ihre Autorität gegenüber den Häftlingen wahren, denn immerhin handelte es sich bei dem Erschlagenen um einen Häftling, der für die Verwaltung spitzelte.

So wurden die beiden Häftlinge in der Politischen Abteilung zu Pro­tokoll genommen und dann in Arrest gebracht. Die Sektion wurde an­geordnet. Ich mußte das Sektionsprotokoll schreiben.

Unmittelbar vor der Sektion hatte der Lagerarzt Dr. Ding eine kurze ,, informatorische" Besprechung mit dem Prosektor, wobei er sagte, daß die Verwaltung daran interessiert sei, die Angelegenheit möglichst rasch und ohne besondere Weiterungen zum Abschluß zu bringen.

Das Protokoll begann mit der Schilderung der äußeren Verletzungen der Leiche. Schon dabei wurde mir klar, daß die Todesursache nicht die starken Schädelverletzungen sein würde, ebenso wenig die übrigen Ver­letzungen an Brust und Unterleib. Bei der Öffnung der Brusthöhle sah ich, daß fast sämtliche rechten Rippen gebrochen waren. Dieser Be­fund wurde nicht in das Protokoll aufgenommen. Bei der Lungenunter­suchung lautete das Diktat: Alveolen mit weißlich gelber Flüssigkeit gefüllt. Andere innere Organe o. B.( ohne Befund).

Bei der Öffnung des Magens entdeckte der Prosektor irgend etwas, das er sorgfältig untersuchte, einen kleinen schleimigfesten Klumpen, den er mit Glasstäbchen vorsichtig entwirrte und dann gegen das Licht hielt.

Ein Stück Pergamentpapier? Er betrachtete das Papier mit der Lupe, hielt es dann nochmals ausgebreitet gegen das Licht. Ich mußte lächeln, trotz allem lächeln, denn wieviel Aufwand und welch gelehrtes Gesicht und wieviel Universitätsweisheit verschwendete sich auf dieses Stück­chen Papier , das--- ganz einfach die Papierpelle von jenem kleinen Stückchen mehliger Gummiwurst war, das wir Häftlinge am Abend vorher als Verpflegung bekommen hatten. Bei dem im Lager herr­schenden Hunger war es kein Wunder, daß der Häftling auch die Papierpelle mit hinuntergeschlungen hatte. Der Prosektor aber witterte

91