für sie, und fast keiner hat ihn auch wohl als Freibrief betrachtet oder ausgenutzt.
Die Abschirmung bestand darin, daß man bemüht war, solche Häft- linge in weniger anstrengenden Arbeitskommandos unterzubringen, wo sie zudem noch aus dem unmittelbaren Blickfeld der Lagerleitung gerückt waren. Das gelang zwar nicht immer, aber doch häufiger, als man bei dem skrupellosen Nazihaß annehmen konnte. Und wenn auch Tausende unserer Besten qualvoll gestorben sind und ermordet wurden, viele andere können heute nur noch deshalb an einem besseren, würdigen Menschheitsgebäude mitwerkeln, weil sie ihr Leben allein der Solidarität zu verdanken haben, die selbst im Tornado des Konzentrationslagers nicht unterging und sich bewährte.
eyes
Ich war schon mehrere Wochen als Revierschreiber tätig und hatte mich mit dem internen Betrieb des Häftlingsreviers vertraut gemacht. Ich hatte manchen Blick„hinter die Kulissen“ getan und viele Dinge erlebt, die mich von einem Grauen ins andere brachten. Ich hatte er- fahren, mit welcher Selbstaufopferung hier Häftlinge wirkten, die ein Trantalus-Los auf sich nahmen und eine Arbeit verrichteten, die fast der der Danaiden in der Unterwelt glich. Ich hatte mich ihnen selbst zugesellt und immer wieder das Glück zutiefst empfunden, wenn ich durch irgendeine mehr oder minder belangvolle Tat irgendeinem meiner Kameraden etwas Gutes zu tun vermochte. Aber ich habe mich später häufig genug an den Kopf gefaßt und nicht begriffen, wie vollkommen ahnungslos ich von den Dingen war, die sich indes in meiner unmittel- baren Nähe zutrugen, im Zimmer nebenan, im Arztzimmer, das ich schon mehrfach betreten und immer in dienstlich einwandfreier Ordnung
‘gesehen hatte, und in den Räumen des Reviers, in dem Kranke lagen
und Kranke behandelt wurden. Es war so, als hätte sich um mich eine undurchdringliche Mauer gelegt, als wäre ich blind gewesen. Dann aber öffnete das Schicksal mir auch dieses eiserne Tor und schob vor meinen Blicken den barmherzigen Vorhang zurück:
Der Arztschreiber Herbert, ich glaube sein Nachname war Neumann, wird plötzlich entlassen. Der Häftling PaulGrünebaum, der schon als Nachfolger angelernt war, liegt auf Tod und Leben mit schwerem Rheumatismus und schwerster Herzneurose danieder. Es ist kein Häft- ling zur Hand, der die Tätigkeit eines Arztschreibers übernehmen kann.
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